Gedenkfeier für Tankred Dorst
Luisenkirche am Gierkeplatz
Sonnabend, 17. Juni 2017 um 11 Uhr
Sehr geehrte Trauergäste, Freunde und Weggefährten von Tankred Dorst, verehrte Frau Ehler-Dorst, verehrter Dr. Ehler, verehrte Angehörige.
ich begrüße Sie alle in der von Friedrich Schinkel umgestalteten Luisen Kirche und bedanke mich bei der Gemeinde und ihrer Pfarrerin Anne Hensel für die große Herzlichkeit, mit der wir hier aufgenommen worden sind. So wird Gastsein doch zu etwas Schönem und Kostbarem.
Herzlichen Dank allen, die diese Erinnerungsfeier an Tankred Dorst vorbereitet haben.
Ich begrüße Prof Jürgen Flimm von der Staatsoper Berlin im Schillertheater. Seiner langjährigen Freundschaft mit Tankred Dorst
danken wir die musikalische Gestaltung der Feier, ihm und den Sängern Regina Emersleben-Motz, Christoph Lauer, Günther Giese Andreas Neher und Adrian Heger. Vielen Dank für Ihre Mitwirkung.
Michael Krüger, Freund Tankred Dorst in vielen Werken und Tagen ist aus München gekommen. Er wird uns an ihrer beider Freundschaft teilhaben lassen.
Roland Schäfer, Freund und Schauspieler, wird etwas aus dem Merlin lesen. Mein Name ist Hartmut Diekmann, ich war und bin evangelischer Pfarrer. Roland Schäfer und ich betreiben zusammen eine Lesereihe mit dem Namen Kainszeichen. Dort haben Ursula Ehlers und Tankred Dorst uns häufiger zu Füßen gesessen. Weil wir standen, während sie saßen. Tatsächlich war es immer umgekehrt. Wir standen ihnen zu Füßen. Das teilen wir mit vielen anderen unter Ihnen. Und das möge auch so bleiben.
Über diese Erinnerungsstunde hinaus, die wir beginnen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.Amen.
Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Kommt, wir wollen wieder zum Herrn.
Er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden
Er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen.
Wir hören Psalm 139 Es liest Jürgen Flimm
Lasst uns beten
Herr Gott, himmlischer Vater,
erst gibst du uns das Leben,
und dann nimmst du es wieder
verbirgst es für eine Weile im Geheimnis des Todes
um es dereinst erneuert und gereinigt ans Licht zu bringen
als unser ewiges Leben.
Siehe uns an, wie wir hier versammelt sind,
weil unser Bruder Tankred Dorst von uns gegangen ist.
Nimm du unsere Trauer und unseren Schrecken auf
in deinen Frieden
und lass uns getrost sein in der Hoffnung,
die nicht zu Schanden werden lässt.
Das bitten wir dich im Namen deines Sohne Jesu Christi.
Amen.
Zusammenraffung von Merlin
Das Gedenken an Tankred Dorst trifft unausweichlich auf Merlin oder das wüste Land sein monumentalstes Werk. Ein Monument
Bei meinen Versuchen, noch ein Exemplar des Merlin zu kaufen, war der Markt in der Stadt wie leergefegt. Ich dachte noch: So bringt der Tod auch Leben. Ein wahrhaft merlinischer Gedanke.
Natürlich wird es kaum jemandem der Anwesenden und nicht Anwesenden gelungen sein, sich bis heute einen Überblick über das Werk zu verschaffen.
Deshalb schicke ich jetzt eine betont unvollständige Inhaltsangabe voraus. Denn es ist nicht nur der Diamant, der beschrieben sein will, sondern auch der kostbare Staub des Schliffs.
Christus hat den heidnischen Göttern die Macht genommen. Sie ziehen sich in die Wälder zurück oder verbergen sich unter ehrbaren Berufen in den großen Städten: Als Metzger, Händler, Wirte, Nutten. So bleiben sie uns erhalten.
Auch der Teufel: Er schwängert die fromme Jungfrau und Riesin Hanna. Sie gebiert ihm den Merlin. Bei seiner Geburt ist e schon erwachsen. Als nämlich der stolze Vater kommt, um seinen Sohn für den Kampf gegen das Gute in Dienst zu nehmen, erkennt er , dass er die Macht über seinen Sohn bereits verloren hat.
Denn Merlin hat, wegen seines teuflischen Vaters und seiner frommen Jungfrau-Mutter einen Hellsehersinn für das Böse im Guten und das Gute im Bösen.
Merlin ist ein Vogel. Und er ist auch wieder kein Vogel. Merlin ist ein Gedanke, der durch den Kopf fliegt. Merlin ist etwas, das seine Gestalt verändert. Er ist sehr alt inzwischen. Er ist ein schöner junger Mann. Er ist kein Mensch. Merlin ist ein Nebelstreifen
Man weiset nich.
Merlin verkündet bald die Geburt König Arturs und dessen Tafelrunde. Sie wird der Welt Sinn und Ordnung geben.
In einer Burg wird die Tafelrunde als Zeichen für Zivilisation und Rationalität eingerichtet. Die Burg liegt aber mitten im Wald. Der Wald droht mit Unbekanntem, Ungeordnetem, Irrationalem. Schon die Ausgangslage entspricht der Disposition Merlins, Gutes und Böses nicht in getrennten Boxen aufbewahren zu können
Der runde Tisch wird das demokratische Herzstück der neuen Ordnung. Weil ihm die Stirnseite fehlt. Alle sind gleich. niemand sitzt vor, niemand sitzt oben.
Aber: misstraut allem Eindeutigen. Denkt an die Burg im Wald. Das ist jetzt zu uns gesagt.
In Merlin gibt es immer viel Grund dazu.
Zum Beispiel:
Die Forderung König Arturs an den Tischler:
1. der runde Tisch muss 12 Meter im Durchmesser haben. Und:
2. Er muss auch durch die Tür gehen!
Durch Türen gehen wir täglich viele Male und denken uns gar nichts dabei.
Durch die Tür zu gehen, ist bei Tankred Dorst das Einfache, das doch so schwer zu machen ist.
Die Neuordnung der Welt scheitert. Sie scheitert aus vielen Gründen: Aus solchen die neu entstehen,
eine Liebe zwischen dem Ritter Lancelot und Ginevra, der Gemahlin Arturs untergräbt das Vertrauen.
und aus solchen, die schon mit in die neue Ordnung gebracht worden sind.
Mordred, der frühe Fehltritt König Arturs, als Kind den mörderischen Nachstellungen seines Vaters entkommen, zwingt durch seinen Aufruhr seinen Vater zum Kampf. Darin tötet der Vater seinen Sohn.
Als die neue Ordnung zu schwanken beginnt, bricht die Tafelrunde auf, den Gral zu suchen, den Kelch, der das Blut des sterbenden Jesu am Kreuz aufnahm.
Würde er gefunden, wäre die Welt erlöst.
Käme Herr Jesus, wäre er unser Gast.
Lanzelot findet den Gral, aber er sieht ihn nicht. Vom Zweikampf mit seinem eigenen Sohn so erschöpft, ist er eingenickt und verschläft die Erscheinung des Grals.
Und dann ist da noch das Schwert Excalibur. Zu Beginn ist es Auszeichnung. Der es aus dem Felsen zu ziehen vermag, in dem es steckt, ist würdig König aller Könige zu heißen. König Artur zieht es heraus. Mit dem Schwert ist er unbesiegbar.
Für den Weg in eine gerechte Gesellschaft sehr bedenklich.
Das Schwert wird zum Zeichen für das Elend der Zeitalter. Viel Kampf um Gerechtigkeit, wenig Liebe.
Und noch ein Fluch: Solange das Schwert lebt, kann sein Träger nicht sterben.
Man müsste es in die tiefe See versenken. Aber ist sie auch tief genug.
Roland Schäfer liest einige Magmabrocken aus diesem Ausbruch von Heiterkeit und Tod.
Tankred Dorst aus Merlin oder das wüste Land.
Es liest Roland Schäfer
Johann S. Bach. Choral Erkenne mich mein Hüter
Verehrte Ursula Ehler - Dorst, verehrter Dr. Ehler,
Freunde, Trauernde
um jetzt vor Ihnen das Leben von Tankred Dorst auszubreiten, kannte ich ihn nicht gut genug. Nur in den letzten Jahren saßen wir nach einer Lesung mit Freunden zu Tisch, mal an Geburtstagen, mal gemeinsam in einer Kirche, in der Ludwigskirche. Michael Krüger wird davon gleich erzählen.
Ich halte mich derweil an meine Sache und sehe, wo sie sich mit der Sache Tankred Dorsts verbindet. Das Erzählen ist es, das verbindet.
Sie erinnern sich an die Sätze auf der Todesanzeige:
Geboren bin ich in einem Grab, in einer Wiege werde ich sterben.
Nun bin ich Merlin geworden, das allwissende alte Kind.
Ein Entertainer, Zauberer, Erzähler.
Verehrtes Publikum,
lass mich dir meine Geschichte vom Sterben erzählen, damit ich nicht sterbe.
Unermüdlich hat Tankred Dorst Erzählung auf Erzählung folgen lassen. Von Abschluss konnte nicht die Rede sein. Die Spanne reicht von seiner Jugend und Marionettentheater bis ins nächste Jahrzehnt unseres Jahrhunderts- mindestens noch. Dreißig Stücke wolle er noch schreiben hat er gesagt. Der Bericht über den Tuchfabrikantensohn und Pietisten Friedrich Engels aus Barmen zählt dazu und ist schon recht weit gediehen.
Nun ist Tankred Dorst am 1. Juni gestorben.
Was sollen wir daraus schließen im Hinblick auf die Leben rettende Kraft des Erzählens?
Ist es doch nur eine geistreiche Bemerkung gewesen, dass Erzählen vorm Sterben bewahrt? Oder hat Tankred Dorst nicht genug erzählt, nicht emsiger entworfen, nicht fleißiger gearbeitet?
Ein Blick auf seine Werkfülle widerspricht vehement: daran kann es nicht gelegen haben.
Vielleicht ist da in einem sehr direkten Sinne gar nichts zu machen. Weil es nicht eine Frage des richtigen Tuns ist.
Ein Argument gegen das Erzählen wird aus seinem Sterben auf keinen Fall.
Ganz und gar nicht.
In den Religionen erzählen wir seit jeher gegen das Sterben. Was wir gehört haben von unseren Vätern, das lasst uns nicht verschweigen unseren Kindern. Viele meinen, Religion sei Rück-Bindung, Fesselung, Knechtschaft. Das sehen wir auch oft genug.
Aber sie ist eben auch re-legere, ein wiederlesen, und wenn es besonders schön ist, ein Wieder-Erzählen.
Im Erzählen überwindet die Religion das Sterben und offenbart das Leben. Von Generation zu Generation, von Geschlecht zu Geschlecht. Aber in jenem lateinischen Sinn einer re-velatio, einer Offenbarung als Wiederverhüllung. Und darin waren Tankred und Ursula Dorst ein Meisterpaar. Wenn Offenbarte und das Verhüllte sich durchdringen, dann wird die Forderung schwierig, das Richtige zu tun.
In einem späten Interview hat Tankred diese Frage gestellt: "Wie lebt man richtig, oder wie soll man leben? Jeder Mensch hat eine Vorstellung davon, wie das richtige Leben vielleicht wäre, aber man erreicht es nicht."
Man weiß schon, wie man es machen müsste, man sieht die Richtung, man ahnt das Ziel, aber dann schafft man doch nicht die Passage. Wir schaffen nicht den Übergang von dem einen Raum in den rettenden anderen Raum. Aus dem Land der Philister über den Jordan ins gelobte Land. Das ist das Einfache, das so schwer zu machen ist.
"Die halb geöffnete Tür" ist ein Stück des Paares, in dem viele Personen die Tür suchen, die sie aus dem Reich des falschen Lebens in das Reich des richtigen führt. Die Anweisung fürs Bühnenbild sagt lakonisch
Bühnenbild: Räume, Türen.
Man versteht sofort: Da ist nicht viel zu machen.
Im Mittelpunkt steht Tolstois Lebenswende. Der Aufbruch aus dem falschen Reichtum in die rettende Armut.
Zu Beginn zitiert Tankred aus Gorkis Aufzeichnungen bei Tolstoi: Der Graf fragt seinen Besucher geradeheraus: Glauben sie an Gott? Gorki verneint.
Daraufhin Tolstoi: Das stimmt nicht, sie sind von Natur aus ein gläubiger Mensch, was sie natürlich vor ihren atheistischen Freunden nicht zugeben. Sie wollen nicht glauben! Und zwar, weil sie nicht zugeben wollen, dass die Welt nicht so ist, wie Sie sich die Welt wünschen. Und weil Sie ein sturer Kommunist sind! Sie denken, sie können die Welt ohne Gott verbessern."
Um den richtigen Weg zu finden müsste man sich selber nicht nur kennen, sondern auch kennen wollen. Sich selber vertreten wollen.
Tolstoi ist nicht von Gorkis Art. Oder doch? Das Stück schildert ihn, wie er am Ende seines Leben aus seinem falschen Leben in der Fülle seiner Güter in das richtige Leben der absoluten Armut hinübergehen will. Da verweigert ihm sogar noch sein Begleiter, der Landstreicher, die Gefolgschaft. Verzicht ja, aber immer mit Augenmaß.
Der Landstreicher ist viel zu viel Mensch, um Utopist sein zu können.
Und dann gibt es in dem Stück noch Onkel Ibis. Onkel Ibis ist ein Buffone, ein leidenschaftlicher Tänzer, der sich nicht auf den Beinen halten kann. Er fällt leicht hin beim Tanzen. Auch er beschäftigt sich daher mit der Frage nach dem richtigen Leben. Dazu hat er vom Autor ein eigenes kleines Kapitel bekommen mit einer eigenen Erzählung.
Vielleicht ist darin sogar die Lebenserzählung von Tankred Dorst und seiner Frau Ursula enthalten.
Onkel Ibis: Hat es denn überhaupt einen Sinn, sich so anzustrengen? Die Menschen rennen sich die Beine ab, und was kommt am Ende heraus?
Neulich habe ich in einem Buch gelesen: da schleppen die Indianer Eisbrocken vom Gletscher runter bis ins tropisch dampfende Tal, um sie da zu verkaufen.
Sie rennen so schnell sie können, weil ihnen unterwegs die Eisbrocken wegtauen, das Wasser läuft ihnen über den Rücken.
Oho! Wie angenehm!
Oder auch nicht!
Unten endlich angekommen, ist fast nichts mehr übrig!
Bringt kein Geld!
Aber sie machen das immer wieder, - vererbt sich vom Vater auf den Sohn!
Hier ist alles anders als bei Sisyphos. Keine Strafe, sondern Aufgabe.
Sisyphos ist glücklich, wenn er ohne Last den Berg hinuntersteigt. Die Indianer müssen aber den Berg wieder hinauf. Von Glück kann keine Rede sein. Dafür sind sie nicht einsam wie jener. Gemeinsam erfüllen sie Familiensinn, was das Ergebnis allerdings nicht verbessert.
Es bleibt in der Schwebe. Darin hält die Reflexion von Onkel Ibis auch die ganze Schilderung, denn er schließt:
Daß ich die dumme Geschichte immer wieder erzähle, ist ja genauso sinnlos wie das Eisschleppen.
Haha! Gut!
Geht zur Tür hinaus, kommt gleich darauf zurück:
Beziehungsweise nicht gut!
Onkel Ibis kann nicht gehen. Er ist noch nicht zu Ende mit seinem Erzählen. Genauso wie seine Indianer. Sie sind verkappte Romantiker, die nicht gehen, die nicht sterben können.
Nun ist es beim Onkel so, dass nicht die Erzählung ihm gehorcht, sondern er muss dieser Geschichte gehorchen.
Das liegt ein gewisser Unterschied zu seinem Autor. Ihm gehorchen die Erzählungen. So bedenkt er die schwierige Phase des Gehens.
Der diesen Gang des unaufhörlichen Lebens bedacht und eine Tür gefunden hat. Mehrfach. Eine Tür im Leben und im Sterben. Die Musik, die ihm erlaubte Schritt zu halten ohne ins Stolpern zu geraten. Die Passionen Bachs, die Musik Händels und immer wieder die Henry Purcells.
Im Merlin heißt es von einem Ritter: Eines Tages steht Sir Segramur von der Tafelrunde auf, er singt einen überirdisch schönen Ton, und so geht er aus dem Saal, aus der Burg und über die Hügel davon.
Amen.
Wir hören: Henry Purcell: If love's a sweet passion aus The Fairy Queen
Es spricht Michael Krüger, ein Freund von Tankred Dorst
J.S.Bach Choral Was mein Gott will, das gescheh allzeit
Gebet
Herr Gott, himmlischer Vater,
wir danken Dir für das lange und reiche Leben, dass Du Tankred Dorst geschenkt hast.
Wir danken Dir für das Wort und Sprache, die durch ihn zu uns gekommen sind als wären sie von Dir. Schöpfungen durch das Wort, lebenerhaltende Erzählungen. Angeld darauf, dass wir nicht sterben, sondern entschlafen.
Nun wollen wir Dich bitten: neige Dein Ohr und höre uns, wenn wir jetzt gemeinsam zu dir beten:
Vaterunser im Himmel
geheiligt werde dein Name
Dein reich komme
Dein Wille geschehe
wie im Himmel also auch auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute
und vergib uns unsere Schuld
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern
und führe uns nicht in Versuchung
sondern erlöse und von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen
Segen