Predigt vom 3.4.2011

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Predigttext Johannes 6, 55-65 Liebe Gemeinde, das ist eine harte Rede, wer kann sie verstehen? Sagen die Jünger. Zumutungen gehören zwar zum Leben. Aber wir können sie annehmen oder verwerfen. Man kann sich aber vertun. Unter dem Verworfenen befinden sich oft wertvolle Schätze. Gott selbst zum Beispiel. Für viele sei er heute eine Zumutung, wie sie sagen. Fort damit. Zumutung, das hätten die Jünger auch gern gesagt, aber sie können nicht. Schließlich kommt die harte Rede aus dem Munde ihres Meisters. Ihm mochten sie nicht direkt widersprechen. Was wunder, dass sie nur so untereinander tuscheln, ängstlich aber aufgebracht. Irgendwie verstehen sie nicht, worum es geht. Warum er so peinlich darauf besteht, dass sie sein Fleisch essen und sein Blut trinken sollen. Niemand hat es jemals so gesagt. Es klang wie ein Einschlag aus einer fremden Kultur. Wollte er sie zu Barbaren machen? Gestern stand als Meldung in der Zeitung, der türkische Ministerpräsident Erdogan solle seine türkischen Landsleute in Ruhe lassen. Sonst kämen sie nie in Deutschland an. Das sagte Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Wir wollen natürlich, dass seine türkischen Landsleute hier bei uns ankommen. Einen Spruch wie den Erdogans vor ein paar Jahren in Köln „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ treibt jedoch einen scharfen Keil zwischen die Gruppen. Er sagt zugleich damit: Das Fremde soll das Fremde bleiben. Keine Vermischung, keine Annäherungen, kein Eindringen der einen Kultur in die andere. Was hat er eigentlich mit Assimilation meinen können? In dem Ausdruck steckt das lateinische simil, gleich, ähnlich - meint daher so etwas wie gleich machen, ähnlich machen. Einem anderen dazu verhelfen, mir gleich oder ähnlich werden? Kann das ein Verbrechen gegen Menschlichkeit bedeuten. Türken bleiben Türken, Deutsche bleiben Deutsche, kann das die Botschaft sein. Bringt unser Alltag nicht genau das Gegenteil zu Tage: Beobachten wir nicht, wie im Laufe der Jahre der Berliner und sein Hund sich immer ähnlicher werden. Schließlich tragen sie denselben Bart, dieselbe Frisur, haben denselben Gang, auch wenn sie nicht vom selben Teller essen. Fünfzehn Jahre habe ich unter Deutschen in Italien gelebt, die sehr oft auch noch evangelisch waren. Der überwiegende Teil waren Frauen, mit Italienern verheiratet. Ihre Kinder? Waren katholisch, zu 99%. Sie selber, waren zum Teil katholisch geworden. Wir sind doch nicht nach Italien gegangen, weil wir Märtyrerinnen werden wollten. Wir haben uns in einen Mann verliebt, der Italiener war. Basta. Natürlich kleideten sie sich nach italienischer Mode. In ihrer deutschen Kleidung hätten sie sich einem nicht enden wollenden Spießrutenlaufen ausgesetzt gesehen. Wer aus Deutschland kommt, glaubt selber nicht, dass er den Italienern unbedingt die eigene Mode empfehlen muss, es sei denn er ist eben ein Märtyrer der Mode. Die Sprache: wird Italienisch, langsam. Bei den eigenen Kindern geht es dann sehr schnell, rasend schnell. Und die Entfremdung zwischen Mutter und Tochter lässt nicht lange auf sich warten: Mutter, tu mir einen Gefallen, sprich lieber deutsch. Dein Italienisch ist mir peinlich vor meinen Freunden. Liebe Gemeinde: Wer sein Land wechselt, muss da hindurch. Er gibt Altes auf und nimmt Neues an. Verliert und gewinnt. Aber – auch das muss man sagen: auch der andere verändert sich. Auf Ischia gab es keine einzige Familie, in die nicht von einer eingeheirateten Deutschen betroffen war. Betroffen ist der richtige Ausdruck: Man fürchtete ihren Kommandoton. Die italienischen Familienmitglieder fürchteten auch ihren Fleiß. Aber wie vieles gingen auch die Geschäfte dadurch besser oder kamen überhaupt erst ins Laufen. Wenn zwei Flüsse ineinander fließen, mischen sich die Wasser. Eine zeitlang kann man noch die klare Wasser des einen von dem lehmigen Wasser des anderen unterscheiden. Nach einer gewissen Strecke ist alles eins, nur eben viel breiter. Als die Christen sich ausbreiteten, über den Raum Palästina hinaus, alle Welt schaute nach dem nahen Griechenland und nach Rom, bewegte die Jünger und Apostel genau diese Frage: Wenn wir jetzt nach Griechenland gehen, und die heutige Türkei war damals Griechenland, sollen wir dann Männer aus Palästina bleiben, Judenchristen, oder sollen wir den Griechen ein Grieche und den Römern ein Römer sein? Johannes, der als einziger von den Evangelisten von dieser harten Rede Jesu berichtet, ist auch der einzige Evangelist, der sich bewusst an die Griechen wendete. Menschen, die assimiliert waren, griechisch sprachen und dachten, denen er das Wort von der Auferstehung bringen wollte. Damit sie das Wort von der Gegenwart Gottes auch bei sich und in sich spüren sollten. Paulus war der Apostel, der die Fragen eines Missionars in einer anderen Kultur am deutlichsten verfolgt hat. In der Apostelgeschichte finden wir dazu den Bericht, wie Petrus in Jerusalem zur Rechenschaft gezogen wird, dass man ihn mit hat unreine Speise essen sehen. Er habe sich assimiliert und damit seine Herkunft verraten. Paulus lässt uns aus diesem Anlass daraufhin an seinen Überlegungen teilhaben. Wie ist es eigentlich? Müssen wir den Griechen erst die Reinheitsvorschriften der Juden beibringen. Um ihnen dann anschließend zu sagen: Aber nun ist Jesus erschienen und hat das Gesetz erfüllt? Müssen wir den Griechen etwas beibringen, dass für sie vollkommen überflüssig werden soll? Seine Antwort ist ein klares Nein. Nein, das müssen wir nicht. Und das bedeutet auch, dass wir ihnen gegenüber uns nicht als fromme Juden zeigen werden. Wir werden im Gegenteil keinen Unterschied machen zwischen Griechen und Juden. Dann folgt seine berühmte Forderung: hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Knecht noch Freier, hier ist nicht Mann noch Weib, denn ihr seid allzumal einer in Christus. Das hat er an die Galater geschrieben, die wohnten damals in der heutigen Gegend von Ankara. Zurück zum Predigttext und den von den Jüngern als so skandalös empfundenen Aufforderungen Jesu: esst mein Fleisch, trinkt mein Blut. Der Evangelist Johannes hat seine griechisch sprechenden Landsleute vor Augen, wenn er schreibt. Er versucht sich auszumalen, wie ein Grieche sich die Botschaft von Christus vorstellen würde. Wie kann er das Kreuz verstehen, ist es nur eine Torheit, oder ist es auch eine Botschaft für sein Verständnis seiner eigenen Götter. Ist ein Gott, der unter die Menschen geht, von ihnen getötet wird, nur eine Beleidigung der Erhabenheit ihrer eigenen Götter, oder sagt den Griechen diese Botschaft noch etwas anderes. Johannes findet einen Weg und macht alles anders als die anderen Evangelisten. Die drei Evangelisten beschreiben die wunderbare Brotvermehrung und die Speisung der fünftausend am See Genezareth. Der Gesang vom göttlichen Brot hat das Volk Israel seit seiner Jugend an begleitet. Die ungesäuerten Brote beim Auszug, die Schaubrote im Heiligtum. Jesus wurde versucht, aus Steinen Brot werden zu lassen. Er antwortet dem Versucher genau damit: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Brot ist für einen Juden ein Ereignis. Wie übrigens auch für uns. Uns könnte man noch eine Geschichte von der wundersamen Kartoffelvermehrung erzählen. Wir verstünden, bald, was gemeint sei. Natürlich hätten die frühen Evangelisten dafür kein Verständnis gehabt. Das Pessachfest ist das Fest der ungesäuerten Brote, nicht der Kartoffeln, die gibt’s in keiner Tradition. Nur Johannes hält sich nicht an diese Tradition. Jesus sagt bei ihm zwar auch: ich bin das Brot des Lebens, aber das andere Wort ist sehr viel weitreichender: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Er will nämlich wissen, was sich denn die Griechen am liebsten vorstellen. Und er findet ihren Stoff, und macht ihn sich zu eigen. Der Stoff, den die Griechen überalles lieben, ist der Wein. Odysseus berauscht sich an ihm, er ist das Element des Dionysos, der ihn zwar nicht trinkt, aber schenkt. Die übrigen griechischen Götter trinken bekanntlich keinen Wein, sondern Nektar. Die römischen bekommen Milch. Auch der Wein ist nicht ursprünglich griechisch, sondern eingeführt. Ein Fremdling im Land der Griechen. Wie sein Gott Dionysos, wie Christus ein Fremdling unter den Griechen ist. Also wählt Johannes den fremden Gott Dionysos. Er ist ein Naturgott, der im Winter stirbt und im Frühling zu neuem Leben erwacht. Aber er ist oft auch ein rasender Gott, der alles vernichtet, was ihn nicht anerkennt, Sartyrn, Mänaden, Bacchen begleiten ihn, zerreißen wilde Tiere und verzehren sie roh. Diesen Gott hatte sich Johannes als Eingangstor in die griechische Welt gewählt. Das Risiko war enorm. Es führte zu Reden, die hart zu verstehen waren. Die Jünger kamen nicht mehr mit. In seiner Heimat konnte sich Johannes nur noch sehr schwer verständlich machen. Seine Hinneigung zu Dionysos machte allen schwer zu schaffen. Zu allererst erscheint Dionysos als der Gott des Festes und des Feierns, wie ihn auch die Griechen kannten. In der Hochzeit zu Kana, der Erzählung der wunderbaren Weinvermehrung des Johannes, verweist der Name Kana nicht auf einen Ortsnamen in Palästina, sondern auf das Herrschaftszeichen des Dionysos, die Canna, sein Schilfrohr und Stab. Hier ist Dionysos so gut wie Christus. Denn was jener konnte, kann dieser auch: Wasser in Wein verwandeln. Wenn die drei übrigen Evangelisten das Alte Testament nach prophetischen Hinweisen auf den kommenden Christus durchsuchen, dann sucht Johannes in der Vergangenheit der Griechen nach Ankündigung für den kommenden Gottessohn. Mit unserem heutigen Predigttext geraten wir mitten hinein in die zentrale Fundstelle des Johannes, an der er die Griechen gewinnt, und die eigene Vergangenheit riskiert. Seit mehr als 700 Jahren wurden in Griechenland die Dionysoskulte gefeiert, in denen vorgestellt wurde, wie die Titanen den Gott als Kind auffraßen und die Mänaden wilde Tiere roh verzehrten. Es war ein Geheimkult, über den aber viel berichtet wurde. Eine Zumutung für alle Griechen, aber Theaterwirksam in Szene gesetzt durch den Tragödiendichter Euripides und den Komödianten Aristophanes. Johannes hatte das Herz der Griechen gesucht und gefunden: Das Fest eures Gottes und das Abendmahl unseres Gottes, sie reden miteinander, sie sind aufeinander bezogen, sie kommunizieren miteinander, sie laden zum Fest ein. Laetare heißt der heutige Sonntag, und fordert uns auf, mitten in der Fastenzeit zu feiern. Es gibt solche Unterbrechungen der Fastenzeiten, so ein Ja der Lebensfreude im Nein der bangen Erwartung. Palmsonntag mit seinem Hosianna ist auch so ein Tag des Jubels. Und der heutige Sonntag. Wir spüren es bis in die Lieder, die wir singen. Über das, was Jesus seinen Jüngern vorsetzt, sind diese bis in die Tiefe ihrer Empfindung erschrocken. Sie empfinden es als einen Skandal, dass Jesus ihnen so etwas zumutet. Nie fordert Jesus so deutlich auf, sein Fleisch zu verzehren und sein Blut zu trinken, wie gerade in dieser Stelle. Als ob er dem Dionysos den Rang ablaufen möchte. Als ob er griechischer sein möchte als die Griechen selbst. Die Jünger machen da nicht mit. Sie hatten immer schon den Verdacht bei Johannes, dass dieser Jesus unjüdisch sei. Einmal erkennen seine Zuhörer an ihm sogar dieses typische wilde Aus-der-Haut-fahren des Dionysos. Sie sagten von Jesus: Er hat einen bösen Geist und rast. Das tat der Dionysos in der Tat. Er raste, und seine Gefolgsfrauen, die Mänaden, hießen geradezu danach: die Rasenden. Luther übersetzt vorsichtig „er ist unsinnig“, aber im Griechischen steht tatsächlich, damit die Griechen auch wissen, worum es hier geht, mainetai – er rast. Johannes versucht, seine Zuhörer zu einem Fest zu verführen? Ist es ihm gelungen? Die Jünger nicht, das ist ganz offensichtlich. Sie toben und sträuben sich. Die Griechen werden sich aber gefreut haben. Endlich einer von ihnen, einer der ihre Sprache spricht und ihre Stimmung aufnimmt. Der Evangelist Johannes ist der Dolmetscher des Evangeliums für die Griechen. Er wird den Griechen ein Grieche, spricht ihre religiöse Sprache, tritt ein in ihre Glaubenswelt, assimiliert den Christus – und? Bringt er den Christus mit – oder hat er ihn in Jerusalem gelassen, um nicht anzuecken? Ist Christus nun nur eine Spielart des Dionysos geworden? Nein, seine Lösung war anders, aber nicht weniger folgenschwer. Er trat die Juden mit Füßen, indem er ihren Vater den Teufel nannte. Er nennt ihn einen Mörder und Lügner und schleudert diesen Fluch gegen die Juden, der ihnen zum niederträchtigen Verhängnis wird. Aber er bringt den Christus zu den Griechen, in ihre Sprache. Lässt das Wort Fleisch werden und wieder auferstehen. Christus wird Grieche, dann Römer, dann Germane, dann Südamerikaner, dann Koreaner. Und immer hören einige eine harte Rede. Denn Christus ist nicht nur unser Bruder, er ist auch der Bruder des Andern. Amen.