Predigt über Jesaja 38, 9-20
1o. Oktober 2021, Zufluchtkirche
Dies ist das Lied Hiskias, des Königs von Juda, als er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund geworden war:
10 Ich sprach: In der Mitte meines Lebens muss ich dahinfahren,
zu des Totenreichs Pforten bin ich befohlen für den Rest meiner Jahre.
11 Ich sprach: Nun werde ich nicht mehr sehen den HERRN,
ja, den HERRN im Lande der Lebendigen, nicht mehr schauen die Menschen, mit denen, die auf der Welt sind.
12 Meine Hütte ist abgebrochen
und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt. Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden. Tag und Nacht gibst du mich preis;
13 bis zum Morgen schreie ich um Hilfe; aber er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe; Tag und Nacht gibst du mich preis.
14 Ich zwitschere wie eine Schwalbe
und gurre wie eine Taube. Meine Augen sehen verlangend nach oben: Herr, ich leide Not, tritt für mich ein!
15 Was soll ich reden und was ihm sagen?
Er hat's getan! Entflohen ist all mein Schlaf bei solcher Betrübnis meiner Seele.
16 Herr, davon lebt man,
und allein darin liegt meines Lebens Kraft: Du lässt mich genesen und am Leben bleiben.
17 Siehe, um Trost war mir sehr bange.
Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.
18 Denn die Toten loben dich nicht,
und der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue;
19 sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute.
Der Vater macht den Kindern deine Treue kund.
20 Der HERR hat mir geholfen,
darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des HERRN!
Liebe Gemeinde, das ist das Lied Hiskias, der seinen frohen Gesang angestimmt hat, nachdem Gott ihm das Leben aus einer tödlichen Krankheit gerettet hat.
Gott als Arzt des Menschen. So würden wir das heute sagen.
Hiskia hat mit der Krankheit aber noch ein Leiden befallen, für das der Arzt kein Mittel hat: Die Trennung von seinen Freunden, dass er Gott nicht mehr schauen wird im Land der Lebendigen. Er will ja von Gott, dem Herrn, die Hilfe. Darum zwitschert er wie eine Schwalbe und gurrt, wie eine Taube.
Dies erwartet Hiskia hauptsächlich von Gott, der auch sein Arzt ist. Der allerdings die Krankheit nicht nur nimmt, sondern sie auch sendet. Was soll ich reden und was ihm sagen: Er hat’s getan.
Hier ist mehr als ein Arzt.
Siehe, um Trost war mir sehr bange. Aber du hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich.
Du wirfst alle meine Sünden hinter dich. Das ist der Weg zum Gesundwerden. Gott wirft alle meine Sünden hinter sich.
Dass er gesündigt habe, wird von Hiskia gar nicht diskutiert. Davon wird so gesprochen, dass das Sündersein zum Leben dazu gehört.
Wir wissen nicht alles über Hiskia, den König von Juda. 25 Jahre hat er regiert. Die Auseinandersetzung seiner Regentschaft musste er mit den Assyrern führen. Er konnte die Gunst der Stunde nutzen und einen erfolgreichen Aufstand anführen. Doch als die Gunst sich wendete, verlor er das Land Juda an seinen Feind und war nur noch König von Jerusalem.
Nun hat ihn eine tödliche Krankheit getroffen, von der Hiskia weiß: Er wird gesunden, wenn Gott ihm seine Sünden vergibt. Oder: wenn er gesund wird, dann hat Gott ihm seine Sünden vergeben.
Biblisch gesprochen würde man sagen: Wahrlich, hier ist mehr als ein Arzt.
Alle Lesungen für diesen heutigen Sonntag weisen in diese Richtung: Wir sind Sünder, und wenn wir keine Vergebung erlangen, werden wir erkranken bis zum Tode.
Das Gebet aus Psalm 32 spricht eine ganz einfache Sprache: Wohl dem, dem die Sünde bedeckt ist, dem der Herr die Schuld nicht zurechnet. Du Gott, vergabst mir die Schuld meiner Sünde.
Darum betet er zu Gott, der allein Sünden vergeben kann, und so wird er gesund.
Beten macht gesund aber der verstockte Sünde wird krank. So sagt es der Jakobusbrief.
Der Sünde wird krank, ist gelähmt, wie im Markusevangelium. Die Heilung scheint so dringend zu sein, dass die Begleiter des Gelähmten sogar das Dach des Hauses abdecken , um den Kranken direkt vor die Füße Jesu herablassen zu können.
Spektakuläre Aktion.
Man muß immer das Unmögliche wollen.
Unüberwindliche Hindernisse überwinden ist der entscheidende Schritt zum Erfolg.
Irgendwie sieht Jesus das ebenso. Denn es heißt: Als er ihren Glauben sah. Das dürfte sich auf den Glauben der Begleiter und auch des Kranken selbst beziehen. Denn der zetert ja auch nicht auf seinem Lager, weil so ein Aufwand nun wirklich nicht nötig sei. Es stimmt ja auch: Als ein Gelähmter hätte er durchaus noch ein paar Wochen auf seinem Lager auf eine bessere, einfachere Gelegenheit warten können. Aus Gründen seiner Krankheit musste es wirklich nicht genau jetzt sein.
Die Medizin würde das bestätigen. Einer der Titel dieses Erzählung ist „Heilung eines Gichtbrüchigen“. Heute würde man sagen: Der hatte entweder aus Veranlagung zu viel Harnsäure im Blut, oder er hat im Laufe seines Lebens zu viel Fleisch gegessen und Bier getrunken. Was auch immer die Ursache war, so dringend, dass man dazu das Dach des Hauses abdecken musste, war der Zustand des Kranken nicht. Denn die Krankheit war ja nicht plötzlich über ihn gekommen, sondern war ein Leben lang gewachsen, hatte sich angehäuft, wie die Sünde.
Darum: Nicht wegen der Krankheit musste es gerade jetzt sein, sondern wegen dieses Arztes. Jetzt war der zu erreichen, der allein Sünde vergeben und Krankheit heilen konnte. Das wenigstens war der Glaube des Gelähmten und seiner Freunde.
Jesus sieht ihren Glauben und sagt: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.
Und, wie wir bisher aus den anderen Texten gehört haben: wem Gott seine Sünde vergibt, der wird gesund.
Darin machen das alte Testament und das neue Testament keinen Unterschied. Denn es ist ein ganz zentraler Vorgang im Leben des Glaubenden. Auf vielfältige Weise Beschreibt die Bibel, was Sündenvergebung bedeutet:
Die Sünden vergeben oder
Die Sünden nicht zurechnen,
Die Sünde bedecken oder
von blutrot in schneeweiß verwandeln.
Bei Jesaja heißt es: Du wirfst alle meine Sünden hinter dich.
Bei Jakobus hieß es: bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet.
Selten wird in der Bibel davon gesprochen, dass Gott die Sünden tilgt, wenn, dann mit der Einschränkung: aus dem Buch des Lebens. Fast immer kann man die Wendungen so deuten: Die Sünde bleibt in der Welt, nur gereinigt, bedeckt, aus dem Weg geräumt. Aus dem Buch des Lebens kann sie getilgt werden, aber auch, wenn sie in den Abgrund versenkt würde, bliebe sie doch dort in den Untiefen.
Sünde und Welt sind nach biblischen Zeugnis offenbar unauflösbar mit einander verbunden. Erst mit dem Ende der Welt, am jüngsten Gericht wird das Leben vom Tod getrennt, der, wie Paulus sagt, der Sünde Sold ist.
Was aber ist Sünde? Noch etwas anderes als Torte mit Schlagsahne?
Ich erinnere mich an meinen Unterricht, den ich als Student der Theologie und später noch als Pfarrer bekommen habe. Da hieß es: Vom Reden über die Sünde des Menschen vor Gott lasst besser die Finger. Das versteht heute niemand mehr. Bei Sünde hören die Leute nicht mehr hin. Das muss man in die heutige Zeit übersetzen.
Für die Krankheiten hat man heute Ärzte, für Gicht den Ernährungsberater, für Schuldbelastete den Therapeuten oder den Psychoanalytiker. Für Abnutzungen durch den Alltag die Kur und den Urlaub.
Für jede Ahnung einer persönlichen Sünde gibt es einen spezifischen Namen mit einer spezifischen Hilfestellung. Physiotherapie zielt auf den ganzen Menschen und macht Leib und Seele gesund.
In diesem Netz von Hilfsangeboten ist kein Platz mehr für die Wirklichkeit der Sünde.
Es gibt höchstens noch eine Art der Sünde, für die der Mensch nichts kann. Also eine Sünde, die nicht mehr auf seine Missetaten bezogen ist, sondern auf seine Lebenslage. Da werden wir schuldig, ohne etwas dafür zu können. Unschuldig schuldig werden.
Ich gebe mal ein Beispiel. Auch nicht unumstritten:
Dadurch, dass wir alle in der Mitte Europas leben, weder hungern müssen, noch erfrieren, Wasser gegen den Durst haben und unsere Sorge nur ist, dass uns unsere Speise nicht allzu sehr sattmacht- sind wir schuldig am Hunger von Millionen von Säuglingen auf der ganzen Welt. Wir können bleiben, sie sind in Scharen auf der Flucht. Wie Heuschrecken kommen sie uns dann vor, wie eine Plage Ägyptens. Ab er die Millionen Hungernden blieben auch lieber da, wo sie geboren wurden.
Wir können nichts dafür und auch nichts dagegen tun - aber trotzdem sind wir mitschuldig.
Schuld ist unvermeidbar. Man begeht die Schuld nicht, sondern sieht sich unversehens in Schuld verstrickt. Schuld gehört zu der Welt, in der wir leben. Darum muss sie vergeben werden, damit wir leben.
So ist sogar Jesus schuldig geworden. Nämlich am Tod von 2000 Erstgeborenen, allein dadurch, dass er geboren wurde. Ihn wollte Herodes töten, tötete jedoch an seiner Stelle alle anderen, nur ihn nicht. Ihn musste er leben lassen Unschuldig schuldig geworden. Glaubt einer von uns, dass sich nicht auch Jesus schuldig gefühlt hat, ob gleich er nicht schuld daran war?Bestimmt hat sich Jesus schuldig gefühlt.
Also, so hieß es: Das sei noch die einzige Art, in der ein Prediger heute von Schuld und Sünde reden könne.
Wenn jetzt Krieg ausbräche zwischen der westlichen Welt und China, so würden wir beteuern, dass wir für ihn nicht verantwortlich seien. Und so, wie wir hier im Gottesdienst sitzen, hätten wir bestimmt ein Recht dazu. Aber alle Beteuerungen könnten uns nichts nützen, wir sind in Schuld verstrickt.
Was kann man da machen? Nichts oder dies.
Vielleicht kennen Sie das Kriegslied von Matthias Claudius
’s ist Krieg! ’s ist Krieg!
O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre,
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre,
Nicht schuld daran zu sein!
Gegen die Anklagen und Wehklagen der Verletzten, Verstümmelten, Elenden, Krüppeln, Waisen, Witwen, der Erschlagenen, Toten, - hilft nicht die Beute, das Ehrenkreuz, weder der Sieg und auch nicht die Krone. Matthias Claudius weiß das. Der Engel Gottes muss reden. Ohne Gott, der die Schuld verbirgt, gibt es keine Erlösung.
Unsere Vorfahren, die in den Kriege gezogen waren, wussten, dass es so ist. Nach dem letzten Krieg hat es eine Generation gedauert, bis die Beteiligten über ihre Heimsuchungen zu sprechen vermochten.
Das galt nicht nur für die Soldaten, die gekämpft und geschossen hatten, sondern ebenso für die Täter, die gemordet hatten, und ganz genauso für die Opfer, die gelitten hatten. Ich habe auch immer in Israel gehört, dass die in den Konzentrationslagern litten, Jahrzehnte darnach nicht in der Lage waren, darüber zu sprechen.
Auch die Schuld, die ein anderer auf sich geladen hat, kann einen krank machen.
Wer nimmt uns die Schuld, damit wir gesund werden? Das ist ein Thema, dass in der Bibel nicht verstummen will.
Ich muss hier abbrechen, obgleich ein ganz gewichtiges Thema noch gar nicht zur Sprache gekommen ist. Bei diesem Thema ist plötzlich die Schuldfrage wieder ganz neu gestellt.
Der menschengemachte Klimawandel.
Da gibt es plötzlich millionenfach Schuldige, die sich nicht durch ihre Untaten, sondern schon allein durch Untätigkeit versündigen. Nicht vor Gott, denn der ist hier in weiter Ferne. Die heutige Generation versündigt sich an den zukünftigen Generationen. Denen kann aber jetzt niemand seine Schuld eingestehen. Von der künftigen Generation wird uns auch niemand verzeihen werden. Denn die wissen noch nichts von uns und überhaupt wissen die noch von nichts.
Ihnen gegenüber ist unsere jetzige Generation gefragt, sich durch eigenes Handeln zu entschulden, was zu einer immensen Verschuldung für die kommenden Generationen führen wird.
Alles dies, weil das menschengemachte Klima alles andere ausschließt, besonders Gott selber.
Wenn die Menschheit mit ihrer Selbsterlösung, Stichwort 1,5 Grad Erderwärmung, scheitert, wenn wir dann dasitzen mit dieser immensen Schuld, die wir uns selber aufgeladen haben, wohin dann mit dieser selbstgemachten Schuld?
Ich schließe mit den Versen eines Hebräischen Liedes, das den Titel trägt : Ein Spaziergang nach Caesarea. Wir singen es gerade im Hebräischen Chor Berlin
Die Verse sind
Mein Gott, mein Gott, Lass niemals enden:
den Sand und das Meer,
das Rauschen des Wassers,
die Blitze des Himmels,
und das Gebet des Menschen.
Mein Gott, lass niemals enden das Gebet des Menschen.
Amen.