Predigt in St Matthäus vom 25.12.12

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Predigt am ersten Weihnachtstag 2012
in Sankt Matthäus am Kulturforum
Liturgie: Christhard Neubert,

Predigt: Hartmut Diekmann


Gnade sei mit Euch und Friede,
von Gott unserm Vater
und unserem Herrn und Heiland Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. (Joh. 1,14a) Beim Evangelisten Johannes kein Stall, keine Felder, keine Hirten. Die Chöre der Engel singen nicht und die Sterne stehen nicht leuchtend am Himmel. Wer sich immer schon eine andere Weihnachtsgeschichte gewünscht hat, bei Johannes findet er sie.

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. Außerdem: Kein Blick nach oben zum Weihnachtsstern, bei dem der Engel große Freude verkündet. Im Gegenteil, alles, was der Himmel an Verheißung enthält, werden wir finden, wenn wir auf uns schauen: Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.

Das klingt  wie frühe Kritik an einer sentimental gewordenen Weihnachtsstimmung, nur wenige Jahrzehnte nachdem  unsere Art zu Feiern noch nicht einmal Gelegenheit hatte, sich zu entfalte.

 

Nicht nur ohne Blick nach oben, sondern noch dazu  mit  Vorbehalten versehen. Damit seine Hörer, das schließt uns heutige ein,   nicht sofort wieder kolonialen, erobernden, frechen Gebrauch auch von dieser Weihnachtsgeschichte machen. Frech im ursprünglichen Sinn: einen  gierigen Gebrauch.

Damit die Hörer nicht sofort wieder einen gierigen Gebrauch von Weihnachten machen können. Damit sie nicht, wie  sonst zu Weihnachten, wenn sie selig auf der ihnen dargebotenen Leiter in den Himmel aufsteigen, diesmal den Himmel nicht restlos zu sich herunter ziehen und nicht wieder loslassen. Um nicht nur zu rufen: Wir sind Papst, sondern auch noch: Wir sind Gott. Gott wurde ja schließlich Mensch.
Johannes verleiht seiner Botschaft etwas von einem Kunstwerk. Er schränkt seinen Gebrauch ein, er zeigt uns Stufen einer Himmelsleiter, die wir nicht begehen können. Er  versiegelt sie mit seiner Sprache, die wie Glas ist. Durchscheinend und trennend.

Gier ist nicht an sich etwas Schlechtes, aber sie muss geläutert werden. Weihnachten erfüllt unsere Gier und läutert sie zugleich, indem sie sie vor sich selber schützt. Auch die Gier will Ewigkeit. Aber sie sucht sie in der Vernichtung und nicht in der Erfüllung.

Vor zwei Tagen war ich in einer Kirche im Wedding, um eine begnadete Sängerin zu hören. Das ist jetzt keins von den Weihnachtserlebnissen, bei denen Sie abschalten können. Der Gottesdienst war freikirchlich, mit einem abschließenden Rundgebet. Jeder durfte sagen, wofür er dankbar ist. Als Verschluss dieser Gebetskette ziemlich gleicher Perlen betete jemand:
„Ich bin dankbar, dass unser Gott kein langweiliger Gott ist.“

Genau, das ist es!

Absolut unerhört, dieser Satz, aber vollkommen getroffen. Unser Gott langweilt uns nicht.
Wirklich ein Grund dankbar zu sein.
Besonders gut verstehe ich den Dank zu Weihnachten: Besonders heute ist Gott  nicht langweilig.

Denn zu Weihnachten  erfüllt Gott unsere Sehnsucht, aber anders als wir es erwarten, auch mit Enttäuschung. Weihnachten macht uns nicht nur zu Kindern, Weihnachten soll uns auch erwachsen werden lassen.
Das ist eine Enttäuschung aber eine, die froh macht. Frohe Botschaft.

Seine Botschaft ist zum Beispiel, dass er nicht schreibt: Das Wort ward Mensch, sondern er schreibt: Das Wort ward Fleisch. Das ist mehr als gedacht, bleibt aber weit hinter unseren Erwartungen zurück. Warum Fleisch und nicht Mensch?
Wie sollen wir da noch unterscheiden können zwischen menschlich und unmenschlich? Bei Das Wort ward Mensch hätten wir sagen können, das Wort ist menschlich geworden, gerade nicht unmenschlich. Aber bei Das Wort ward Fleisch schaffen wir keine Differenzierung. Das Wort ward fleischlos macht keinen Sinn.

Das Wort ist Fleisch geworden, damit gehört es nicht allein zu uns.
und wohnte unter uns, was aussagt
es wohnte nur unter uns,
als ob es auch wieder umziehen könnte,
oder gar zurückkehren.
So, wie Johannes es sagt, können wir nicht sicher sein, dass das Wort bleibt
Weil es etwas Fremdes, Strahlendes in unserer Mitte bleibt. Wir können es auch  nicht  kurzer Hand zu unserem Fremdling in unserer Mitte  erklären, den wir von seinem Fremdsein befreien sollen.
Das nun gar nicht. Sein Fremdsein ist konstitutiv.
Wohnung geben, ja sicher. Aber kann das die Weihnachtsbotschaft sein, dass Gott neben uns wohnt, Strom, Wasser und Heizung bezahlt wie wir, seine Tür abschließt wie jedermann, grüßt und nach links geht, während wir nach rechts gehen. Johannes kann dem Heimischwerden des Wortes Gottes nicht das Wort reden.

In einen Vierzeiler gefasst, klänge das so:

Der Stern erstrahlt so munter
Da fiel er vom Himmel runter.
Du fragst mich, Kind, was Liebe ist?
Ein Stern in einem Haufen Mist.

Der Heinesche Misthaufen ist wohl keine besonders gediegene Interpretation des Wortes Fleisch, wie Johannes es verwendet. Der ganze Mensch und die ganze Welt. Aber er, der Haufen Mist,  ist doch ein  Stachel, der weh tut.  Das Bild will  die Einsicht wach halten, dass es der neuen Umgebung nicht gelingen wird, den Stern oder das Wort wirklich zu binden und zu fesseln.
Trotz unserer Anstrengungen, das Wort zu binden. Wir versuchen seine Bindung immer wieder: sei es durch eine radikale Binnenperspektive. in dem wir nur auf die Spanne unseres eigenen Lebens schauen.

Sei es durch die Heiligung der Kirche selber als  Sakrament. Das heißt, die Kirche sie nicht nur als Zelt Gottes, als seine Wohnung, sondern  als das Wort. Zwar meinen wir, das sehe nur die katholische Kirche so.  Aber ist es inkonsequent, geradezu kindisch,  dass wir dem Urteil des Papstes, wir seien in seinen Augen gar keine Kirche, nicht freudiger zustimmen:
Ja, genau, das sagen wir ja auch immer: wir sind gar keine Kirche, und so eine Kirche wollten wir auch nie sein.
Weil uns die Ehrfurcht vor der Freiheit Gottes  und vor dem Wort daran hindert. Weil wir die Kirche nicht als das Haus sehen, in dem alle Christen ihre Wohnung gefunden hätten. Für uns ist die Kirche nicht die gute Stube, in der Gott aus seinem Wort vorliest, für uns ist die Kirche eher so etwas wie  ein Asylantenheim, in dem wir Zuflucht finden, in dem wir Stärkung finden, das wir immer wieder mit Dankbarkeit betreten und auch wieder verlassen. In dem Gott sich finden lässt, aber nicht ewiger Bewohner ist.
So entfaltet sich Schritt für Schritt die johanneische Weihnachtsbotschaft, die uns an den Scheideweg des Christseins ruft.

-    ob wir entweder das kleine, zarte, süße Kind in der Krippe in unserem mitgebrachten Steckkissen verschwinden lassen um es  nach Hause zu  tragen. Mit der Begründung, es brauche doch schließlich unseren Schutz und unsere  Zuwendung und unsere Fürsorge, wie ein kleines Kind eben.  Und dann behalten wir es, geben es nicht wieder her, bis wir merken: es ist uns davon gelaufen.

-    oder ob wir vor diesem Nichts an Macht niederknien wie die Heiligen Drei Könige oder die Hirten.  Hirten, die doch schon hundertmal ein neugeborenes Lämmlein gesehen haben, die aber diesmal trotzdem niederknien als wäre dies zum ersten Mal in ihrem Leben geschehen.

Das Personal der Weihnachtsgeschichte behält das Neugeborene Christuskind als sein  Gegenüber, zieht es nicht auf seine Seite. Darin gleichen Könige und Hirten dem Johannes der Täufer, der nicht ablässt, den gewaltigen Unterschied zu predigen, der zwischen dem liegt, der vom Himmel kommt, Jesus, und dem, der von der Erde ist, er selbst. Das Wort, das Fleisch ward, bleibt Gast in seinem Munde. und in seinem Herzen. Beides feiern wir heute. Das dies nicht ohne Gottes Hilfe zu feiern ist, wissen wir, ahnen wir, wussten die frühen Christen sehrgut, als sie sich auf dieser Welt noch nicht so zu Hause fühlten.

Darum möchte ich noch einmal von vorne, gleichsam bei den Anfängen anfangen.

Ein Frohes Fest wünsche ich uns allen.
Das Licht der Heiligen Nacht  möge uns weiterhin erleuchten,
Strahlen aussenden gegen die nun aufziehende Dunkelheit,
Die Nacht hat es zum Leuchten gebracht.
Wie aber wird es am Tage sein.
Wird es unseren Irrtum aufdecken? Den Irrtum zu meinen, am Tage brauchten wir kein Licht, es sei hell genug? Weihnachten ist ein fest für Tag und Nacht.

Ja, widersprüchlich ist das Weihnachtsfest.
Widersprüchlich im Sinne dieser Vertauschung von Tag und Nacht: weil  die Nacht leuchtet, und der Tag ist  dunkel.
Und es wird nach der Weihnacht unwiderruflich wieder Tag und damit dunkel.
Nach der strahlenden Nacht kommen die dunklen Tage.
Gewiss, die helle Nacht überstrahlt auch die dunkelsten.
Aber die helle Nacht ist ein Geschenk, und zwar eines von jenen Geschenken, die nicht Besitz werden wollen. Wir haben nicht die Leuchtkraft, die Nacht zum Tage zu machen. Geschweige denn , das Dunkel zu vertreiben, dass in unsere Tage dringt.


Die frühen Christen wussten dies und  glaubten dies und haben es auch gestaltet.
Heute feiern wir den Beginn einer langen Reihe von dunklen Tagen nach jener Nacht.
Können sie so hell erstrahlen wie die Nacht, und wie dunkel sind die Tage, die uns erwarten?
Das Weihnachtsfest in der Tat ist  eingetaucht in Finsternis. Als ob das Wort nicht tief genug ins Fleisch eingehen könnte. Die Kirchenväter sagten zur Erlösung durch das Wort: Was nicht angenommen ist, ist auch nicht erlöst. Darum geht es hinunter bis ins Herz der Finsternis.
Und wir erleben es jetzt:
Morgen feierten die Christen vor uns den Tag des Erzmärtyrers Stephanus. Als er in einer großen Rede den Männern aus der Synagoge deren eigene Geschichte vom christlichen Standpunkt aus vortrug, trieben diese ihn aus der Stadt und steinigten ihn. Das gefiel einem Mann namens Saulus sehr. Der frühen Kirche hat  darauf gedrungen, die Erinnerung an ihn auf den zweiten Weihnachtstag zu legen
Unmittelbar nach dem Fest der Geburt Christi das Fest des ersten Märtyrers, der aus Gehorsam starb, der auf  dessen Geburt mit seinem Tod antwortete.   
Der Tag wurde zur Nacht und aus dem Dunkel des Todes leuchtete das Licht des Glaubens. Weil Licht nur im Dunkeln zu sehen wäre.

Widersprüchlich ist unser Glaube, weil er widerspricht.


Das aber war nur der Anfang der Verkündigung, die mitteilt, wie nahe sich am Weihnachtsfest Gott und Welt gekommen sind.

Heute in drei Tagen, und nur zwei Tage nach dem ersten Fest des Heiligen Stephanus, beging  die alte Kirche das Fest der unschuldigen Kindlein, den Kindermord von Bethlehem.
Tatsächlich war nicht Stephanus der erste, sondern diese Kinder waren die ersten Märtyrer, wenn auch unfreiwillig. Der Tag uns fremd geworden, Zweifel daran, dass es ihn überhaupt gegeben habe, werden überlaut. Überlaut, weil sie schon so alt sind wie die Erzählung selbst. Geschichtsschreiber bemühen sich, das Bild des Herodes von einem grausamen zu einem begnadeten Herrscher zu korrigieren. Herodes der Große hieß er übrigens schon immer. Der aber ein Ekel von Herrscher gewesen sein soll, der drei seiner Söhne umbrachte, seine Frau Mariamne, die er mit Honig einbalsamierte um sich an ihr zu vergehen,
von dem Augustus sagte, er möchte lieber ein Schwein des Herodes sein als dessen Sohn  - womit er auch darauf anspielte, dass Schweine bei dem Juden Herodes in größerer Sicherheit waren als seine Söhne.
Der außerdem befohlen haben soll,  am Tag seines Sterbens ein paar Menschen umzubringen, damit an dem Tag wenigstens irgendjemand Tränen vergösse.
Herodes genannt der Große,  auch als großer Unhold.
Mit ihm hat die christliche Tradition den Kindermord verbunden. Das für uns Entscheidende aber ist zu verstehen, warum sie ihn gleich auf die Heilige Nacht folgen lässt
Ein Tag, der wie ein Gegenentwurf zur Heiligen Nacht selbst wirkt und fragen lässt: Wozu dieses blutige Echo auf die Heilige Nacht?  Was hat es auf sich mit dieser schmerzhaften Ernüchterung, die uns aus unserer Anbetung reißen will?
Sehr irdisch ist der Tag der unschuldigen Kindlein,
viele Fragen an Gott in dieser Welt werden durch ihn aufgeworfen.
Als aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes, rettete er uns, heißt es beim Evangelisten Johannes
Wenn die Welt, in der Gott Wohnung genommen hat, die göttliche Botschaft als Echo zurückwirft, dann erkennen wir sie und uns selbst nicht wieder.
Dann wohnt Gott, der Herr der Welt, wie ein Asylant in ihr. In der das Echo der Welt mal süß ist und dann wieder so laut, dass wir das Wort Gottes nicht mehr verstehen.
Der Kindermord wirft  einen Schatten auf Weihnachten zurück. Aber Gott, las er unter uns Wohnung nahm, hat seinen Kampf gegen die Schatten aufgenommen. Amen.