Predigt City Kirche Mannheim
Misericordias Domini
15. April
Predigttext 1. Petrus 5, 1-4
Der Gottesdienst heute hat einen Titel, ich würde sagen, einen recht kühnen Arbeitstitel:
Versuch ohne Zaun - sind die Hirten noch zu retten?
War die Studentenrevolte der 68er so ein Versuch ohne Zaun, ohne Zäune?
Bei gleichzeitiger Vertreibung der Hirten? der Lehrer? der Professoren?
Weil eine ganze Generation mehr lernen wollte, überhaupt von anderen Lehrern lernen wollte? Oder wollten sie sich ganz ohne Lehrer überhaupt neu erfinden.
Sozusagen ein Stunde Null Projekt.
Heute fragt man in Bezug auf die 68er ein halbes Jahrhundert zurück. Aber da springen wir viel zu kurz.
Es fing ja viel früher an. Für mich ganz bestimmt. Von Revolte war da allerdings noch keine Rede Ich bin lange Zeit nur an Zäunen entlang geschlichen, habe manchmal auch Probe geklopft, nach morschen Stellen. Das hatte ganz persönliche Gründe.Die reichten bis vor meine Geburt zurück.
Es fängt ja immer mit der Familie an.
Bei mir war das so, und auch nicht ganz untypisch.
In meiner nächsten Familie waren fast alle Männer gefallen. Mein Vater noch vor meiner Geburt, 3 meiner Onkel in den ersten Kriegsjahren. Ein Großonkel überlebte. Er war Propagandaredner bei der USPD, eine Partei links von den Sozialdemokraten. Ihm hatte die SA nach einer Rede aufgelauert und ihn so jämmerlich verprügelt, dass er fortan kein politisches Wort mehr sagte. Auch nach dem Krieg nicht mehr: Frühsport, Knoblauchessen und Geld verdienen waren nun seine Lebensschwerpunkte.
Mein Großvater mütterlicherseits hat den Krieg auch nur geradeso überlebt. Er war in der Bekennenden Kirche und musste zu Kriegsende untertauchen. Er starb gleichsam an Illegalität. Vielleicht aber auch an seinem Neffen, der schon in den zwanziger Jahren in die NSDAP eingetreten war und bald als Gauleiter von Herford in brauner Uniform und Auto mit Hakenkreuzstandarte durch die Gegend fuhr. Seine Tochter hatte er in den Fruchtbarskeitsmädchenbund der Nazis gegeben. Sie war als Aushilfsmädchen im Konzentrationslager in Theresienstadt tätig gewesen.. In unserer Familie hatte er Hausverbot.
Der hat natürlich überlebt.
Das war meine Grundausstattung, mit der ich ins Leben geschickt wurde.
Doch eins muss ich noch sagen. auch wenn es keinen Mann betrifft. Aber meine Mutter war ja nun zugleich mein Vater geworden, insoweit...
Meine Mutter schmückte als junges Mädchen mit ihrer jüdischen Freundin vor Schabbat die Synagoge in Bielefeld. Einmal konnten sie nicht schmücken, denn die Synagoge war abgebrannt worden. Das war ein Feuer, das fortan nicht mehr gelöscht werden konnte. Es brennt noch bis heute. Immer wenn ich jemandem zum Boykott Israels aufrufen höre, sehe ich das Feuer wieder. Nahrung bekam es in der Zwischenzeit genug. Ich meine das Feuer.
Meine Mutter wurde Lehrerin. Als Lehrerin bekam sie später eine Abmahnung durch ihren Rektor: Sie setze nicht ihre ganze Kraft in den Schuldienst. Sie fahre zu häufig nach Israel. Meine Mutter beantragte ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst. Schied, rehabilitiert, vorzeitig aus dem Schuldienst aus. Der Rektor nicht. Er hatte nur Einreiseverbot nach Norwegen. Weil er sich dort als deutscher Soldat verheerend aufgeführt hatte.
In Norwegen gab es Erinnerungskultur.
Bei uns nicht.
Wir befinden uns auf dem unschuldig grünen Land zwischen Bielefeld und Münster, Ostwestfalen. so um 1960.
Schon als Schüler hatte ich damals die Männer aus der Nachbarschaft gefragt, warum sie nicht auch tot seien. Wie so sie, im Unterschied zu meinem Vater, meinen Verwandten, es verstanden hätten zu überleben.
Der nächste Nachbar, Wirt, Bäcker, Post und Bankdirektor in einem, ich nannte ihn Onkel Karl, war die NS-Zeit und der Krieg gar nicht das Problem gewesen. Am schlimmsten war die Zeit der Entnazifizierung durch die Engländer. Lagerleben, er war auf 55 Kilo runtergekommen.
Die beiden Lehrer der Volksschule, in die ich ging, waren auch begeisterte Nazis, zumindest gewesen. Zu den Reichsparteitagen in Nürnberg waren sie jeweils mit Klappstühlchen im Gepäck gefahren um, so erhöht, den Führer vorbeifahren zu sehen. Haben sie selber erzählt. Meine Mutter war ihre Kollegin. Der erwähnte Rektor kam erst später dazu.
Meine Lehrer, wenn sie nur alt genug waren, waren irgendwie alle Nazis gewesen.
Daher bin ich gekommen.
Das waren meine persönlichen Startlöcher.
Bestimmt nicht besonders verschieden von den Startlöchern vieler anderer Achtundsechziger.
In einigen von uns war ein Misstrauen gegen Lehrer herangewachsen, gegen die Übriggebliebenen. Gegen die, die nicht gestorben waren Immer wieder gab es Männer, die es verstanden hatten, sich wieder einzufädeln , politische Positionen, die sie schon vor 45 bekleidet hatten, erneut zu bekleiden. Sport und Biologie bei einem ehemaligen Kampfflieger unter Rommel. Hatte vor Hitler am Hochreck geturnt. Als sich die Haut der Innenhandfläche gelöst hatte, war er vom Reck abgegangen, hatte Magnesium in die offene Wunde gestreut und war zur Riesenfelge zurück ans Reck gegangen.
Emotional verloren wir mit den Lehrern ebenfalls unsere vorausgehende Generation aus den Augen. Und umgekehrt. Es galt als schick, mit seinen Eltern zerstritten zu sein.
Als ein Freund einen weiteren Freund und mich zu sich nach Hause nahm, sagten die Eltern an der Tür entgeistert: wir sind doch keine Jugendherberge. Sie zogen ins Hotel, wir blieben. Uns war es recht, aber die Distanz war enorm.
Es wuchs der Widerstand.
Meine erste Demonstration war ein Ostermarsch durch die Fußgängerzone in Bielefeld im Jahr 1964. 1. Semester Theologie. Nach den Erfahrungen in meiner Familie war ich gegen, Krieg, Waffen, militärische Aufrüstung. Also Demonstrieren.
Erinnerungswürdig.
Wir gingen zu dritt nebeneinander, jeweils im Abstand von 10 Metern.
Anordnung der Polizei.
Natürlich gehorchten wir. Wir waren schließlich in Bielefeld.
Vielleicht waren wir 30 Teilnehmer insgesamt, aber unser Demonstrationszug war auf diese Weise einhundert Meter lang.
Die Passanten haben sich wahnsinnig aufgeregt über uns: Grünschnäbel, Faulenzer, einer nannte mich Lumumba, weil ich den Anflug eines Bartes trug.
Rückblickend muss ich aber sagen:
Ich war damals nicht selbstständig, nicht emanzipiert.
Im Grunde war ich zu der Zeit noch ein ausgesprochenes Schaf.
Aber eins war mir schon klar:
Wenn schon Schaf, dann aber nicht euer Schaf. In mir war das Misstrauen gegen die Hirtenschicht angeschwollen, auch weil ich nie einen Vater hatte,
aber es gab noch keine Entschlossenheit, keine Technik, das Misstrauen in Handlung umzusetzen. Der Zaun war brüchig, aber ich blieb trotzdem im Stall.
Damals erzählten wir uns viele Irrenwitze. Darf man heute gar nicht mehr sagen. Einer davon, merke ich jetzt, beschrieb wunderbar meine, unsere Situation.
Ein Irrer will aus einer geschlossenen Anstalt ausbrechen. Die Mitirren raten ihm, über das Tor zu klettern. Das sei niedriger als die Mauer und er käme besser hinüber. In der folgenden nacht macht sich der Irre auf, kommt aber bald unverrichteter Dinge zurück und sagte: Ging nicht, Tor war auf.
Die Irren waren wir. Weil wir nicht gingen, obgleich uns nur Seidenfäden daran hindern würden.
Ich erinnere mich an die Nachricht, dass Eier gegen die Fassade des Amerikahauses in Berlin geworfen worden waren. Das war glaube ich 1965. Ich arbeitete gerade in einem Heim für schwererziehbare Jungen. Die Erzieher, fast alle ehemalige Angehörige der deutschen Wehrmacht. Es wurde immens geprügelt.
Über die Eier war ich schwer entrüstet. Ein Freiburger Student aus Hamburg fand das hingegen wunderbar und verlangte noch mehr Eier und jede Menge Farbbeutel. Das hatte mich als angehenden Theologiestudenten sehr verwirrt. In den Semesterferien fuhr ich nach Hamburg Othmarschen, um mehr von ihm zu erfahren .
Er war nicht da.
Aber sein Vater. Architekt.
Er war mit seinem Sohn sehr zufrieden. Am Abend erzählte er mir, dass er während der Nazizeit unter Drohungen aufgefordert worden war, die Hakenkreuzfahne an seinem Fahnenmasten vorm Haus aufzuziehen. Man würde morgen wiederkommen. Am Abend habe er dann den Fahnenmast abgesägt. Am nächsten Tag konnte er den Nazis sagen: Geht nicht, ist gar keine Fahnenstange da.
Man lies ihn in Ruhe.
Ich begriff, Neinsagen ist möglich auch unter erschwerten Bedingungen.
Ich sammelte Beispiele. Der Nachbar, der den Leuten von der NS-Wohlfahrt , die für den Bau eines Bunkers sammelten, beschied: Ich gebe nichts.
Und warum nicht?
Weil der Führer für den Frieden ist.
Unser Hausarzt, der während des Krieges einen seiner Patienten in einer Kneipe trifft und ihn fragt: Na, glauben Sie noch an den Endsieg? Entschlossene Antwort: Gewiss, Herr Doktor. Der Arzt, übrigens Pfarrerssohn: so doof sehen Sie auch aus.
Ich las Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, aber auch Was heißt, die Wahrheit sagen. Also über das Recht jemanden zu belügen, dessen Frage selbst eine unmenschliche Anmaßung darstellt.
Dann wurde ich auf Paul Tillich aufmerksam. Ein Mitstudent aus Frankfurt, dessen Freundin Amerikanerin war, hatte von ihr den Tipp bekommen. Tillich, der erste vertriebene Nichtjude aus Deutschland, kam über die USA wieder zurück.
Ich las bei Tillich, dass christlicher Sozialismus möglich sei. Unbedarft, dogmatisch befangen seien beide Seiten, wenn sie nicht die ähnliche Leidenschaft beim anderen entdecken. In jeder heftigen Leidenschaft stecke ein religiöser Kern. Das, was mich unbedingt angeht, das ist der religiöse Kern.
In Tübingen ging ich schnurstracks zum SDS, Sozialistischer deutscher Studentenbund..
Herbstsemester 1965.
Vom christlichen Sozialismus hatten die aber gar keine Ahnung.
Sie waren sowieso super stolz darauf, unreligiös zu sein. Sie hielten die Religion für die Ursache allen Elends in der Welt . Mit Theologiestudenten wollten sie schon gar nichts zu tun haben.
Ich ließ nicht locker. Ich hatte eine Mission.
Ich ging zum psychoanalytischen Zweig des Tübinger SDS, Schule von Siegfried Bernfeld, wir lasen Freud, Frantz Fanon, machten Bildungsarbeit bei der NGG - Gewerkschaft für Nahrung, Gaststätten und Genuss.
Außerdem studierte ich alles, was mich animierte: Theologie, klar, machte meine Scheine, aber noch französische Literatur, Philosophie, Logik, Ästhetik in Stuttgart bei Max Bense. Ich studierte wirklich ohne Zäune. Und stiftete zunehmend Unruhe.
Thomas Müntzer besser als Luther.
Wollte der Professor nicht zugeben. Ich verließ unter Protest den Hörsaal. Er war aber schneller und hielt mir die Tür zu.
Müntzer wurde ausführlich behandelt.
Von Heidegger hatten wir ein Recht nicht mehr hören zu müssen. War schließlich Nazi gewesen. Haben wir durchgesetzt.
Es war ein Vergnügen zu sehen, wie so was funktionierte.
Die Hirten gaben auf.
Ich las Heidegger trotzdem.
Und ich ging zum Theater Studentenbühne an der Uni.
Wir waren ein ganzer Trupp und übernahmen die Bühne komplett.
Wir wollten etwas gegen den Vietnamkrieg zu unternehmen.
Wir versuchten, amerikanische Kommilitonen vor der Einberufung zu retten, in Gesprächen baten wir Professoren um Gutachten.
Die Weißen Studenten konnten bleiben,
die Schwarzen wurden gezogen.
Demonstrationen nun am laufenden Band. Immer gegen die USA.
Ich tanzte aber auch in einer us-amerikanischen Folkdance Gruppe.
Wir verstanden uns wunderbar.
Antiamerikanismus war nie ein Thema für mich.
Und dann unsere Vietnamlesung.
Wir waren streng ideologisch ausgerichtet.
Der Vietcong hat Recht - Amerikaner sind im Unrecht.
Wir sprachen mit Prof. Obermann, einem holländischen Kirchengeschichtlern, um ihn als Berater zu gewinnen, Er hörte uns an, sagte aber noch in der ersten Sitzung ab. Wir seien ihm zu einseitig, zu dogmatisch.
Wir dachten ,besser so. Hat eh keine Ahnung.
Auf die Bühne durfte ich nicht, wegen meines starken westfälischen Akzent. So war das damals, 1966. Chef war Peter Mosler, Bayer, war Theaterassistent bei Benno Besson in Ostberlin gewesen und bei Theodorakis in Griechenland.
Die neuen Hirten.
Zwei Vorstellungen im Tübinger Landestheater, eine in Erlangen, dann die Einladung zu den Studentenfestspielen in Avignon. Da verließ uns der Schauspieler, der den amerikanischen Präsidenten Lydon B. Johnson spielte. Er hatte eine Stipendium für die USA und fürchtete , kein Visum zu bekommen, wenn er in Avignon den Johnson in einer ziemlich miesen Rolle gäbe.
Das war im Jahr 1967 und das Private hatte noch sein Recht.
Später nicht mehr.
Wir traten daraufhin überhaupt nicht mehr auf.
Aus der Gewerkschaftsarbeit wurde unsere Gruppe wegen Linksabweichung zu derselben Zeit auch ausgeschlossen.
Plötzlich sah ich freie Tage vor mir.
Ende Mai ging ich nach Berlin.
Der Schah kam, für mich selbstverständlich auch so ein Dreckskerl.
Jeden Tag Demos, sitins, teachins. Es gab noch die Obristen in Griechenland.
Demonstrationen über den Kuhdamm. Vorm Kanzlercafe riefen wir zur Cafeterrasse hinauf: Lasst den Kaffee, lasst die Sahne, kauft Euch eine Rote Fahne.
Das war gelungen.
Aber die im Stakkato geschrienen Buchstaben USA SA SS, konnte ich nicht mit rufen. Mir war, als stünde ich im Stadion im falschen Block.
Bahman Nirumand sprach im Audimax der FU über die Verbrechen des Schahs. Ich glaube es ging auch noch ein Demonstrationszug gegen die griechischen Obristen in die Fasanenstraße.
Plötzlich aber tauchte Günter Grass auf dem Podium auf.
Er war extrem aufgeregt.
"Ich komme gerade aus Israel. Da steht ein Vernichtungskrieg der arabischen Nachbarn gegen Israel unmittelbar bevor. Wir müssen die Öffentlichkeit wachrütteln, dass dieser Krieg noch in letzter Minute verhindert werden kann."
Das zum Bersten übervolle AudiMax zeigte keine Reaktion. Nach dem TeachIn, ich weiß gar nicht, ob heute noch irgendeine Veranstaltung so heißt, wie eine Indoktrinationsstunde, sah ich am Ausgang Günter Grass stehen, ganz allein, völlig isoliert mit seinem Aufruf, Israel zu retten.
In der Nacht, die auf das Attentat auf Rudi Dutschke folgte, saß ich im Zug. Ich durchquerte gerade einen Großteil der Bundesrepublik Deutschland von München bis Bielefeld. Die Wut der Studenten, die sich gegen das Haus Springer richtete, war bis auf jeden Bahnsteig zu spüren. Es gab keine Bild, keine Welt, es waren Springers Zeitungen komplett blockiert.
Das hat mich sehr gefreut. Zugleich habe ich bedauert, nicht dabei zu sein.
Ich kam gerade aus Israel, aus einem Kibbuz in der Nähe von Haifa. Und spürte, dass ich mich innerlich längst auf etwas ganz anderes vorbereitete;: Auf das tausendjährige Reich in uns, vor dem die Studentenbewegung begonnen hatte, auszuweichen.
Dieser erneute Angriff gegen Israel mit dem begleitenden Spruch, man wird ja noch mal sagen dürfen.
Als wenn wir nicht schon genug gesagt hätten, für die nächsten Tausend Jahre genug gesagt hätten.
Hier schließe ich, ohne über das Jahr 1967 nennenswert hinauszugehen.
Mein damaliger Freund und Theaterregisseur der Vietnamlesung, Peter Mosler, schrieb 1977 seinen Versuch einer Bestandsaufnahme. Was wir wollten, was wir wurden. Er hatte mich gesucht, aber nicht gefunden. So dass keine Antworten von mir enthalten sind. Darum kann ich mich ohne Verpflichtung zum Ende auf einen anderen Text konzentrieren. Dieser Text erschien auch im Jahre 1977, etwas später, nach der Ermordung Hans-Martin Schleyers und den anschließenden Selbstmorden von Andreas Baader, Jan -Carl Raspe und Gudrun Ensslin, In einer französischen Zeitung.
Ich habe ihn ausgeschnitten und aufbewahrt und lasse ihn von Schublade zu Schublade wandern. In der Übersetzung der Süddeutschen Zeitung lautet er so:
Deutscher Mythos
Deutschland hat nie etwas so gemacht wie die anderen. Das Drama, das es soeben gelebt hat, ist in erstaunlichem Maße exemplarisch für es selbst: Es entstand und löste sich auf in Entschlossenheit, Gewalt, Kraft, Ehre, Blut, Tod und gehorchte einer exzessiven und suspekten Logik, in der sich Gut und Böse vermengten. Deutschland hat einen neuen Akt seines epischen Theaters gespielt: Schmidt, Baader, Schleyer, der Pilot Schumann, diese Affäre hinterläßt nur Helden, tot oder lebendig, die die nationale Mythologie bereichern und dem Stolz neue Nahrung geben werden. Die Deutsche Gesellschaft wird sich von denen, die künftig ihre Ordnung in Frage stellen, ihren Luxus teuer bezahlen lassen, und es ist fraglich, ob jene aufgeben, denn das hieße, die Idee Lügen strafen, die sich die Deutschen von Ehre und Rache machen. Der Preis wird um so teurer sein, da dieses Drama die Zerbrechlichkeit der Sicherheit offenlegt, auf die sich die deutsche Nation gründet. Sieger ist wenigstens der deutsche Wille, der eine bewundernswerte Tugend dieses Volkes ist. (...)
(SZ im Oktober 1977)
Wer die Zäune niederlegt, Hirten vertreibt, läuft Gefahr in die Irre zu gehen. Oder er kommt aus einem inneren unbelehrten Richtungssinn gerade wieder bei sich zu Hause an. Vor dem er doch gerade flüchten wollte.
Die Achtundsechziger haben Deutschland nicht verändert, sie waren halt eine Bewegung, wie wir in Deutschland schon so manche gehabt hatten.
Vor ein paar Tagen sah ich in Spandau auf dem Wochenmarkt einen Mann mit T-Shirt auf dem stand: Odin statt Jesus. Dass hier eine Aufgabe gelegen hätte, ist der Bewegung immer fremd gewesen.
Amen