Vom Ende der Zeiten

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Zyklus Olivier Messiaen

Konkordienkirche Mannheim

Predigt vom 16.11.2008

 

Predigt vom 16. November
City Kirche Konkordien Mannheim
Liturgie: Pfarrerin Ilka Sobottke
Predigtthema: Vom Ende der Zeiten
Reihe: Olivier Mesiaen.
Epistellesung

Fr. Gorenstein  „Psalm“ (Roman)

    Jedes Leben, selbst das bittere, und jedes Schicksal, selbst das leidvolle, gestaltet sich, wenn es vergeht, zwangsläufig zu einem Psalm, zu einem Lobgesang an den Herrn, weil es stattgefunden hat im Unterschied zu dem Leben Ungeborener und den nicht abgelaufenen Schicksalen. Jedes Leben, selbst das bittere, ist ein Glück und ein Privileg. Deshalb betrügen der Missetäter und der Abtrünnige den Schöpfer schon durch ihre Geburt. Christus aber ist der Erlöser, rein im Herzen, denn das reine Herz Christus, das nicht die Qualen des Erschaffens kennt, ist vom Herrn gesandt, damit diejenigen nicht verlassen sind, die Gott der Schöpfer alleingelassen hat.

„Seht, es kommen Tage, spricht Gott der Herr durch Amos, den frühesten Propheten und Urheber des Prophetentums, „sehet es kommen Tage, da schicke ich den Hunger ins Land, nicht den Hunger nach Brot, nicht den Durst nach Wasser, sondern nach einem Wort des Herrn“

Diese Zeiten sind heute nahe, und der Hunger nach Gottes Wort wird vielleicht die fünfte, schrecklichste Strafe des Herrn sein, angekündigt durch den Propheten Amos wie die vier vorhergegangenen Strafen durch den Propheten Hesekiel. Von den vier früheren Strafen – der ersten, dem Schwert, der zweiten, dem Hunger, der dritten, dem wilden Tier der Wollust, und dem vierten, der Krankheit und Pestilenz – wurde der Gottlose erlöst kraft der Vergebung durch Christus. Doch von der fünf ten Strafe, dem Durst und Hunger nach Gottes Wort, wird er nicht erlöst werden können, auch Christus, der Bittsteller der Missetäter, wird ihn nicht erlösen. Am Hunger nach Gottes Wort, am Durst nach dem Trost des Herrn wird der Gottlose in Qualen sterben. Dafür wird sich der Gerechte an Gottes Wort sättigen. Es heißt im Buch des Propheten Jesaja:
„Schon ehe sie rufen, gebe ich Antwort, während sie noch reden erhöre ich sie.“
(F. Gorenstein  - Psalm s. 478-479)


Predigttext
Offenbarung des Johannes 10, 1-11


Liebe Gemeinde,
Ist das Ende der Zeit ein schönes Thema?
Klar, der Herbst, Regenbogenfarben in den Wäldern,
aber eben auch, wie ein trinkender Dramatiker (Grabbe) bemerkte:
Der Herbst – die Gelbsucht der Natur.
Das Ende der Zeit ist eine Krankheit
Darum hören wir nicht gern vom Ende der Zeiten reden.
Es tut uns  leid.
Warum eigentlich?
Weil wir vermutlich denken, es sei dann alles vorbei.
Weil wir auch das nicht fahren lassen können, was wir gar nicht lieben. „Bewahrung der Schöpfung“ – klingt ein wenig nach kosmischen Messie. Sammeln als  Akt der Erlösung.
Hinter den gesammelten Bergen wird uns die Ewigkeit nicht finden.

Sprechen wir gern selber vom Ende der Zeit?
Höchstens als Waffe gegen andere.  Viele machen daraus eine blühende Politik: Klimawandel, Globalisierung, Energiekrise, Islamisierung Europas, Eurabia wären  Stichworte, die den Anfang vom Ende anzeigten mit dem grollenden Unterton:  Wenn Ihr Euch nicht wandelt,  wird es ein schnelles Ende mit Euch nehmen.
Dass es ein Ende mit uns nehmen muss, können wir sowieso nicht  verkennen, aber schnell soll es nicht sein -  sondern sich wie die Wiederkunft Christi unendlich verspäten.

Bei der Frage nach der Ewigkeit haben wir es auf jeden Fall mit Verspätungen zu tun. Ich erinnere an den Juden, der sich mit der Nachricht der Gründung des Staates Israels konfrontiert sieht und sagt: „2000 Jahre haben wir gewartet, und gerade mich muss es erwischen.
Das Ausbleiben des Ereignisses wiederum schenkte unerwartet viel Zeit. Auch Christus hat uns viel Zeit geschenkt und gibt noch weiterhin.
Einige von uns ziehen daraus höchst optimistische Schlüsse:
Mit dem gern gesagten Satz: Nun habe ich alle Zeit der Welt.
Das klingt wunderbar. Aber auch ein wenig unheimlich. Weil Gott von der Zeit keinen Gebrauch macht, habe ich sie mir einfach mal genommen. Aber wer wagt denn schon mit solchen Gedanken diesen Ausspruch.
Diese Gedanken bleiben ungedacht.
Und wer käme als Subjekt in Frage. Wer sagt so etwas?

Ich zum Beispiel wäre so ein Kandidat: Ich bin seit 6 Monaten im Ruhestand und könnte mir herausnehmen zu sagen: Nun habe ich alle Zeit der Welt. Ich weiß, dass alle Rentner jammern, sie hätten nun so viel weniger Zeit als früher, was auch eine schlechtes Licht auf ihren früheren Arbeitseifer wirft.
Alle Zeit der Welt klingt auf jeden Fall nach zu viel Zeit haben, eher nach Arbeitslosigkeit denn nach Gefordertsein, tagesökonomischer Planung  und Prioritäten. Wer behauptet, alle Zeit der Welt zu haben, ist eigentlich dumm dran.
Es sei denn, er ist auf Entschleunigung seines Lebens aus, um aus der Bewegung des rasenden Stillstands in die der Ruhe zu kommen.
Vielleicht ist auch ein spitzer Schrei darin enthalten.

Ich versuche ja nur,  mit ein paar Schritten das heiße Thema der Zeit und dessen Ende zu umkreisen.

Wie viel Zeit hat denn die Welt überhaupt. Und wenn ich nun alle Zeit der Welt hätte, hätte sie dann selber auch noch Zeit?  Klar, wir können die Zeit ja teilen. Wie wir es jetzt gerade in diesem Gottesdienst tun. Wir teilen eine Stunde miteinander.
Alle Zeit der Welt haben klingt nach Diebstahl. Da ist einer in den Palast der UNO eingebrochen und behauptet,  die Zeit der Welt gestohlen zu haben.
Großkotz. Oder? Und was macht er nun damit? Wahrscheinlich Fernsehen.
 
Sind wir nicht auch alle Zeitdiebe, die in der Zeit ein Objekt gefunden haben, das man gut stehlen kann, ohne dafür belangt zu werden? Dessen Entwendung nicht eingeklagt werden kann. Oder haben Sie schon einmal von einem Gerichtsverfahren gehört, in dem es um gestohlene Zeit ging? Bei Google Fehlanzeige.

Als Zeitdiebe gehen wir auch noch straffrei aus.

Deswegen werden ungeniert auch immer raffiniertere Zeitverzehrer in unsere Häuser geschmuggelt, damit wir nicht den Anschluss verpassen: Fernsehen, Computerspiele,  Handyschreibmaschinen. Wir machen die größten Anstrengungen, um der Zeit  ein Ende zu bereiten.

Und: Unsere Bemühungen sind nicht erfolglos. Die meisten Menschen haben bekanntlich keine Zeit. Sie haben sie bei allerlei Gelegenheiten entsorgt und sind froh, keine mehr zu haben.

Wenn nun jemand um einen Augenblick bittet, dann bekommt er meistens zu hören: Woher soll ich denn die Zeit nehmen? Denken Sie vielleicht, ich hätte meine Zeit  gestohlen?

Was soll man darauf antworten? Was soll man dazu sagen?
Vielleicht wäre dies eine Antwort: Ach ja, schenken Sie mir doch bitte etwas von der Zeit, die Sie nicht haben. Geben Sie mir etwas von der Zeit, die ihnen nicht gehört.
Das klingt nicht einmal vollkommen unsinnig, wenn man einmal die Eigentumsfrage stellt. Man ahnt  auch, dass es bei der Zeit nicht wie beim übrigen Eigentum zugehen kann. Man könnte sie haben ohne dass sie einem gehört. Und man kann schenken, was man gar nicht hat, ohne zum Dieb zu werden oder der Unveruntreuung bezichtigt zu werden.


Harsche Antworten kann  man sich aber auch vorstellen: Was, Sie wollen  etwas von meiner kostbaren Zeit haben? Die habe ich schon gänzlich verplant.  Da ist keine Minute mehr übrig. Ich weiß ja so schon nicht, wie ich das alles schaffen soll. Ich bin fast am Ende

Ein beliebtes Spiel unter uns, auch unter Pfarrern. Sie übertrumpfen  sich gegenseitig gern mit ihrem Zeitmangel. „Du bist der einzige Kollege, den ich kenne, der seinen ganzen Urlaub in Anspruch nimmt,“ sagte einmal eine Kollegin zu mir. Ich habe diese Zeit nicht, sollte das wohl heißen.

Wenn die Zeit aus ist, was ist dann?
In einem Roman mit dem Titel die Zeitdiebe, wird die Zeit, dort wo sie nicht so sehr gebraucht wird und sich riesige Reserven angesammelt haben, zum Beispiel beim Kabeljau, in die großen Städte gepumpt, die einen hohen Bedarf haben. Aber es wird hier auch wie mit allen Rohstoffquellen gehen: Wie das Öl wird dann auch die Zeit einmal zu Ende gehen.
Ist dann das Ende der Zeit gekommen?

Eigentlich sind wir sicher, dass das nicht sein kann. Das Ende der Zeit muss etwas anderes sein.

Das Ende der Zeit ist die Ewigkeit.
Und die Ewigkeit ist der Beginn der Herrschaft der Ewigkeit über die Zeit.
Das Ende der Zeit ist gekommen, wenn die Zeit stillsteht.

„Vom Ende der Zeit“ nennt Olivier Messiaen sein Quartett in der ungewöhnlichen Besetzung mit Klavier, Geige, Klarinette und Violoncello. Er nimmt den Ausdruck aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung, in der ein Engel das Ende der Zeit verkündet. Wir hören darum jetzt das 10. Kapitel der Offenbarung.

Lesung: Offenbarung des Johannes 10, 1-11


Über dem Engel wölbt sich der Regenbogen. Er ist das Bundeszeichen Gottes, seit er Frieden mit den Menschen machte. Ewigen Frieden.

Wie der Regenbogen, so etwa sah die Herrlichkeit des Herrn aus, schreibt Ezechiel in einer Vision. „Jede sakrale Kunst muss zuerst eine Art Regenbogen von Klängen und Farben sein“, setzt Messiaen hinzu und zitiert Hans Urs von Balthasar: „Kein antiker und nicht einmal ein  moderner Mensch kann dieses aufgerichtete Zeichen ohne tiefste Ergriffenheit betrachten. Selbst wenn ihm das Gewitter nichts „gesagt“ hätte, der siebenfarbige Bogen spricht das Wort Friede aus.“
Er ist ein Fingerzeig auf die Herrlichkeit Gottes und den Anbruch ewiger Gegenwart.

Der Engel selber ist auch wieder Bogen und Brücke und spannt seine Erscheinung vom Meer zum Land und hinauf in den Himmel. Die Donner verkünden brüllend, aber niemand soll sich merken was sie sagen, denn es wird keine kommende Zeit  sein, die es benötigen wird. Denn dann werden keine Bücher mehr zur Hand genommen, weder solche zur Verbesserung Mitteleuropas noch solche, die die letzten Tage Europas beschwören, denn die Zeit der Bücher und des Buches ist vorbei. Wenn die Zeit zur Ruhe gekommen ist, wenn Eieruhr und Stundenglas ihr Rieseln eingestellt haben, breitet sich ewige Gegenwart aus, die sich nicht um das Gestern kümmert noch um das Morgen sorgt, denn zukünftige Zeit und vergangene Zeit sind nun gegenwärtig ist jetziger Zeit, und die Zeit ist nicht mehr.

Vom Ende der Zeit“ nennt Olivier Messiaen sein Quartett. Es waren gerade diese vier vorhin genanten Instrumente in dem Kriegsgefangenenlager vorhanden, so hat er für sie komponiert.  Sie waren auch nicht ganz gesund, wie die Gefangenen selber, so dass er bei seiner Komposition darauf achten musste, welche Tasten und Klappen gingen und welche nicht. Dem Cello fehlte zum Beispiel eine Saite.
Mit dem  Ende der Zeit meinte er  auch ganz gewiss nicht das Ende der Zeit seiner Gefangenschaft. „Es wurde geschrieben für das Ende der Zeit ohne Wortspiel mit der Zeit der Gefangenschaft, sondern für das Ende der Begriffe von Vergangenheit und Zukunft, das heißt für den Beginn der Ewigkeit. Ich wollte auf gar keinen Fall einen Kommentar zur Apokalypse schreiben, sondern allein meinen Wunsch nach Stillstand der Zeit rechtfertigen.“ Soweit Messiaen.

Vom Lager, in das Messiaen für ein Jahr gesteckt worden war und in dem er das Stück 1941 komponierte, hört man in dem Stück gar nichts. Keine Kälte, kein Wintergrau, nichts dergleichen. „Während meiner Gefangenschaft löste der Nahrungsmangel bei mir farbige Träume aus, erzählte Messiaen. Ich sah den Regenbogen des Engels und ein seltsames Kreisen von Farben.“

Mit großer Vorsicht will ich den theologischen Kommentar zu Messiaens Komponieren von Clytus Gottwald hierher setzen, den ich in dem Vortrag zur Ausstellung von Katrin Lorbeer fand. Sie  zitiert: „Eine Eigentümlichkeit von Messiaens Theologie ist die Abwesenheit von Leid, Sünde, Erlösungsbedürftigkeit, Als Theologia gloriae bewegt sie sich im barocken Umkreis einer Ecclesia triumphans, in der das Leiden im Gegensatz etwa zum Isenheimer Altar nur als jauchzend Vollbrachtes seine Abbildung erfährt.“

Messiaen fehlt das Düstere. Seiner Theologie fehlt die Erlösungsbedürftigkeit. Messiaens Theologie wirkt, als ob er nicht von Gott getrennt wäre, als ob er aus dieser Nähe seine Heiterkeit zöge. Einer, der noch im Lager himmlische Farbspiele entdeckt und aus ihnen ein Loblied Gottes komponiert. Er treibt es beinahe soweit, dass mancher ihm Missbrauch des Elends vorwerfen  wird: Einer, der das Elend verklärt.
Das erinnert mich an den jüdisch-russischen Schriftsteller, von dem wir zu Beginn diese dunklen Sätze über den nicht zu stillenden Hunger nach dem Wort Gottes gehört haben. Eine Qual, von der auch Christus nicht zu erlösen vermag. Dieser lässt denselben Helden, den er den Antichrist nennt, zuvor sagen: Die größte Irreführung durch das Christentum besteht darin, dass es behauptet, man diene Gott, indem man dem Menschen dient. Auch Messiaen hat etwas von dieser Gottesnähe.
Er wusste auch immer, dass er seinen Zuhörern Schwierigkeiten mit seiner Musik bereitete. Vom letzten Satz des Quatuor sagt er, er sei geradezu orientalisch langsam, um so die Ewigkeit ankommen zu lassen. Und er fügt hinzu. Ich weiß, dass das in Europa nicht erlaubt ist, diese Langsamkeit. Sie werden mich nie verstehen.

Gott kommt bestimmt zu spät, damit wir  diese Langsamkeit entdecken, die Zeit spüren, wie sie einfach nicht vergehen will, wie plötzlich der Sand im Stundenglas steht und sich die Ewigkeit ankündigt.

Darum sind wir hier. Vereint in diesem  Kirchraum, eines und alle vereinend. Amen