An meine antisemitischen Freunde, die alle nicht in der AfD sind.
Der Terroranschlag in Halle habe eine Wende in Deutschland eingeläutet. Heißt es nun. Es gehe ein Schnitt, ein Riß durch unser Land. Wird auch noch gesagt.
Und die geistigen Brandstifter für den Anschlag sind auch schon gefunden: Die AfD.
"Antisemitismusbeauftragter sieht judenfeindliche Positionen bei AfD." "Dobrindt: "AfD lässt bewusst Antisemitismus zu". Seehofer sieht geistige Brandstiftung bei AfD-Äußerungen. Habeck – "Wer auf eine Synagoge schießt, schießt auf uns alle"
Das kann ja alles richtig sein - die Wende, der Riss und Teile der AfD nahe beim Antisemitismus.
Aber ich fürchte, die Wnede ist nicht zum Guten und der Riß wird hauptsächlich vertieft zwischen uns und allem, was man irgendwie mit der AfD in Verbindung bringen kann.
Denn die Argumentation liegt auf der Hand: wir sind nicht so, wie die anderen.
Aber wieso können wir unter uns keinen normalen Meinungsaustausch über Israel und seine Sorgen führen. Die Ablehnung des Staates Israel durch einen Großteil seiner Nachbarn vom Tag seiner Gründung bis heute. Die Vorbedingung, die diese Nachbarn für Gespräche mit Israel stellen ist, dass Israel als Staat nicht anerkannt wird. Wir reden nur mit solchen, die wir nicht anerkennen. Wieso muss ich Kilometer um Kilometer laufen um jemanden zu finden, der mit mir überhaupt darüber reden will?
Oder auch nur darüber, dass die Siedlungen doch auch ein Mittel sein können, die Beziehungen friedlicher zu gestalten. Weil zusammenwohnen immer eine gute Sache ist. Zusammenleben mit anderen ist bei uns auch schon eine Schwierigkeit. Es gelingt ja nicht einmal Häuser zu bauen, in denen Ärmere und Reichere unter einem Dach wohnen können. Andere Völker können das, uns macht das Schwierigkeiten. Mit uns meine ich erst einmal die, die gar nicht in der AfD sind.
Und dann noch dieses gefühlt tausendmal häufiger in der Stille vorgebrachte Argument: Von denen Juden mit ihrer KZ-Erfahrung hätte man nun wirklich erwarten können, dass sie aus ihrer Geschichte etwas mehr gelernt hätten. An der Oberfläche tönt es schon sehr laut, aber unterirdisch ist es ein reißender Strom. Ich versuche den Strom mal an die Oberfläche zu leiten: Sie, die Juden, die doch gesehen haben, was brutale Gewalt ausrichten konnte, die sollten doch gelernt haben, wie nötig es ist, sicher aller Gewalt zu enthalten. Lernen muss immer das Opfer, der Handelnde, wie Goethe meinte, ist immer gewissenlos. Goethe meinte zwar, während der Tat, wir aber meinen, auch nach der Tat.
In unseren Nachrichten heißt es dazu, Israels Reaktionen seien unangemessen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgendwann einmal geheißen hätte, Israels Reaktion sei angemessen ausgefallen. Mich wundert dabei, wie wir uns die jüdische Maxime zu eigen machen, die wir wenn sie selbst genannt wird, als eine Maxime aus Rachedurst zu bezeichnen lieben: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Es ist doch die Regel des genauen Messens, des Maaßes. Nicht mehr vergelten als angerichtet worden ist. Um der anschwellenden Rache ein Ende zu bereiten. Aber bei uns, dieseits der AfD, wird als gegen Israel gewendet, als unser Gesetz, nicht als das ihre.
Dagegen muss man daran erinnern, dass wir ja ebenfalls so ein Gesetz haben: Das Gerichtsurteil. Ducrh das Urteil wird dem Rachegedanken seine Kraft genommen. Mit dem Urteil, das der Angeklagte annimmt, hat die Rache ihr Ende gefunden. Das setzt voraus, dass das Urteil angemessen ist. Da wachsen jedoch Zweifel - besonders bei uns.
Tutto sommato - wir verlagern unsere Defekte auf die AfD, dsie bestimmt dieselbe hat, wie wir, um uns davon zu reinigen. Das ist die Aufgabe der Presse, soweit sie Lügenpresse ist. Und sage niemand, Lügenpresse gäbe es erst seit der NS-Zeit und der AfD: Lest den Wandsbecker Boten von Matthias Claudius, den Augenblick von Soeren Kierkegaard und die Fackel von Karl Kraus um zu erkennen, auf welch lange Tradition das Urteil zurückgreifen kann.
Vater des mutmaßlichen Angreifers: "Er gab immer allen anderen die Schuld". Also auch Stephan B. Das sollte uns zu denken geben. Dass der Riß, der durch unsere Gesellschaft geht, doch nicht so tief ist wie erhofft. Oder ganz anders verläuft als erwartet. Der Antisemitismus bleibt unsere Schicksalsfrage. Die hier gehörten Antworten machen die Frage nur um so dringender. Shalom