Bevor Christen sich daran machen, ins House of One zu ziehen, wären ein paar erneut vorgetragene Gedanken zum Verhältnis von Juden und Christen nicht überflüssig. Einmal drin im Haus, werden die vielen Sorgen, die beim Einzug in einen Neubau auftreten, diese Fragestellung verschatten.
Wege zu Gott
Jesus spricht: "Niemand kommt zum Vater denn durch mich." (Ev. Johannes 14, 6)
"Dass man erst von einem, seis wer es sei, lernen müsse, Gott unseren Vater zu nennen, das ist doch, wird der Jude einen, das Erste und Selbstverständlichste - was braucht es einen Dritten zwischen mir und meinem Vater im Himmel." (Franz Rosenzweig, Briefe s. 671, Schocken, Berlin 1935/ s. auch Franz Rosenzweig - Eugen Rosenstock, La radice che porta, s.91, Marietti, Milano 1992)
"die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen, denen auch die Väter gehören und aus denen Christus herkommt nach dem Fleische, der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit. Amen" (Brief des Paulus Römer 9, 4-5)
Zwischen diesen beiden Polen - 'niemand kommt zum Vater denn durch mich' des Johannes und "ihnen gehört ja alles" des Paulus entfaltet sich das christlich-jüdische Verhältnis bis zum maßlosen Versuch der Vernichtung des europäischen Judentum durch den deutschen Nationalssozialismus.
Die dialogischen Versuche, die die der 'amicizia ebraico-cristiana' in Italia
oder der 'Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit' sind Reaktionen auf die Shoa. Diese kurze,nicht älter als 70 Jahre alte Gescfhichte des gemeinsamen Dialogs war von dem heillosen Schrecken gezeichnet, der alle nach dem zweiten Weltkrieg erfasst hatte. Ein Ereignis, von dem Hanna Arendt meinte, es hätte nie geschehen dürfen.
Die Dialoge waren in diesen 7 Jahrzehnten sehr stark von der Zusicherung bestimmt, dass jetzt die Freundschaft den Charakter des jüdisch-christlichen Verhältnis bestimme. Doch war einigen Teilnehmern auf beiden Seiten deutlich bewußt, dass es jetzt darum gehe, die Unterschiede zu denken, ohne dass dieses alte Feindschaft erzeuge.
Unter dieser Zielsetzung kamen den Kapiteln 9-11 des Römerbriefes ganz besondere Bedeutung zu. Paulus sah sich eingespannt in die Herausforderungen, als Jude die Weigerung Israels, Jesus Christus als Messias anzuerkennen, mit der bleibenden Erwählung Israels durch Gott zu denken.
Die Ablehnung erklärt Paulus durch die Verstocktheit Israels. Die jedoch nicht die Folge seines Unglaubens, sondern des Eingreifens Gottes ist. Gott verstockt Israel, ohne sein Volk jedoch zu verstoßen. Um sich dies selber begreiflich zu machen, nennt Paulus die Verstockung nicht entgültig, sondern zeitlich begrenzt. Solange, bis die Fülle der Heiden glaubt.
In diesem Zusammenhang nennt Rosenzweig in seinen Briefen eine Legende: 'Der Messias ist schon geboren im Augenblick da der Tempel zerstört wurde; aber wie er geboren war, trugen ihn die Winde aus dem Schoß seiner Mutter davon. Und nun wandert er unbekannt durch die Völker, und erst wenn er sie alle durchwandert hat, ist die Zeit unserer Erlösung gekommen.' So wie die Verstockung Israels gelöst wird, wenn sich die Fülle der Heiden zu Christus bekannt hat.
Das christliche und jüdische Dogma der Erlösung durch den Messias sind sich ähnlich, obgleich sie in Bezug auf Christus Gegensätze sind. Im Blick auf das Evangelium sind die Juden zwar Feinde um euretwillen, aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen (Rö 11,28)
Um das Problem der Verstocktheit Israels mit seiner ewigen Erwähltheit noch besser zusammen zu denken, , bedient sich Paulus des Bildes eines Ölbaums: Der Ölbaum ist selber schon durch sein biblisches Alter ein Vorzeichen der Ewigkeit. Mit Bezug auf den Propheten Jeremia müsste man sagen: ' "Grünender Ölbaum, herrlich zu schauen" hat man dich genannt. Unter broßem Getöse versengt ein Feuer seine Blätter, häßlich sind seine Äste. Denn der Herr der Heerscharen, der dich gepflanzt, hat Unheil über dich beschlossen um der Bosheit willen, die das Haus Israel und das Haus Juda verübt haben, mich zu erzürnen, indem sie dem Baal opferten." (Jer. 11,16-17).
Israel ist der grünende Ölbaum. Aber dann macht Israel, dass Äste häßlich werden und verdorren.
Nun hat Gott selber Hand angelegt und die dürren Äste und Zweige ausgerissen um frische wilde Ölzweige, die an Christus glauben, aufzupfropfen.
Damit benennt Paulus einen Vorgang, den die christliche Kirche in einer ihrer dominierenden Auslegung auf verstörende Weise falsch zeichnet hat: Denn Generationen sind unterwiesen worden, den Vorgang des Einpfropfens als Ablösung zu verstehen: Wegen Israels Ungehorsam wurden seine Zweige ausgerissen. An Israels stelle wurden die wilden Zweige des Christentums gesetzt. Israel stirbt ab, die Kirche blüht auf. Das ist die große Umwertung, bei der die Erwählung Israels auf das neue Volk der Christen übergeht. Dass Paulus hier die Verstockung Israels durch Gott selbst und nicht den Ungehorsam Israels als ursächlich nennt, spielte keine Rolle.
Es hat Paulus nichts geholfen, dass er diese Beraubung vorausgesehen hatte und ihr schon vorher vehement widersprach: Vertrocknete Zweige werden wohl ausgebrochen werden, aber die Wurzel bleibt auf ewig dieselbe. Nicht ihr tragt sie, sondern sie trägt euch. Und so versteht er auch den Vorgang des Einpfropfens. Die neuen Zweige ersetzen nicht die alten Zweige, sondern werden unter sie gepflanzt, so dass jetzt zweierlei Zweige an demselben Stamm, an derselben Wurzel hängen. Heilig sind sie, wenn die Wurzel heilig ist. (Rö 11,16)
Zwei Wege also führen zu Gott: Niemand kommt zum Vater denn durch mich, das ist der durch die Gnade des Glaubens an Christus eröffnete Weg zu Gott.
Und der Weg Israels, Gottes erster Liebe, den Gott immer schon zu seinem Volk gegangen ist.
Hartmut Diekmann Berlin, 6. Juni 2021 , 1. Sonntag nach Trinitatis,
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