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Lasset die Heiden zu mir kommen

City Kirche Konkordien in Mannheim

Predigt am 17.10.2004

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Lasset die Heiden zu mir kommen!

Das ist zweifellos nicht die richtige Fassung.

Jesus ruft  bekanntlich die Kinder zu sich und nicht  Heiden.

Immerhin waren die Kinder, die gerufen wurden, wahrscheinlich Heiden. Mit diesem Ruf Jesu ermuntern wir heute die Eltern, ihre Kinder  zur Taufe zu bringen.

 

Also dann doch: Lasset die Heiden zu mir kommen!

 

Aber: Mit diesem Ruf will ich nicht daran erinnern, dass es noch über eine Milliarde ungetaufter Chinesen, ebenso viele ungetaufte Inder und ebenso viele ungetaufte Muslime gibt, gar um dies zu ändern.

 

Es soll ein Ruf nach innen sein, einer, der sich an den Heiden in unserem Kopf wendet.

Der Heide im Kopf, um ihn geht es mir. Denn den gibt es. Wir Evangelischen glauben zwar, wir hätten durch die Reformation dem Katholizismus das Heidentum ausgetrieben und stünden nun sauber dar. Aber das halte ich für einen großen Irrtum. Es ist längst wieder da und nistet in unserer Mitte.

 

Das ist zwar eine Krankheit. Aber es ist  keine Krankheit zum Tode. Sondern  es ist eine, die zum Leben führen kann. Das ist dem Christentum schon zweimal passiert. Aller guten Dinge sind drei.

 

Zwei Beispiele aus der Geschichte der Kirche sollen es belegen. Beide haben ihren Ursprung in Rom, bei den christlichen Heiden Roms. Die Heiden Roms sterben nicht aus. Das ist ein gut protestantischer Satz, der uns schon über manche innere Krise hinweggeholfen hat. Aber auch unseren katholischen Brüdern und Schwestern hat er selber schon sehr geholfen. Die Heiden sterben nicht aus.

 

Die katholische Kirche war eine missionarische Kirche. Sie hatte von Beginn an den  Marsch bis an das äußerste Ende der Welt angetreten. Sie hatte Völker um Völker der Kirche zugeschlagen, bis sie schließlich den ganzen bekannten Erdkreis umspannte. Ihr Leib wurde immer dicker,  die Seele hingegen immer kümmerlicher. Der Platz, den sie nicht ausfüllte, nahm der Heide im Kopf ein.

 

Erstes Beispiel

 

Die Seelenlosigkeit Roms hatte immer wieder fromme Besucher erschüttert. Schon der Heilige Benedikt war nach wenigen Monaten

aus Rom in die nahen Sabiner Berge geflohen und später zum Klostervater des Abendlandes geworden. Die Klöster Frankreichs,  Englands, Deutschlands übernahmen seine Klosterregel. Das  heidnische Rom war ihm zu einem mächtigen Stein des Anstoßes geworden. Ein Brocken, der der Kirche einen gewaltigen Stoß versetzen sollte.

 

Mit der Formel Beten und Arbeiten  - ora et labora – befriedeten die Mönche der Benediktiner und Zisterzienser den gesamten europäischen Westen. Und das heidnisch-katholische Rom hatte den Stein ins Rollen gebracht, der einen ganzen Erdteil zivilisierte. Sie kultivierten, missionierten die Länder Europas und ließen Frühling werden

 

Zweites Beispiel

 

Tausendjahre später wiederholte sich derselbe Vorgang, jedoch mit einem gänzlich anderen Ausgang. Martin Luther kehrte wie der Heilige Benedikt angewidert vom Treiben in der heiligen Stadt nach Deutschland zurück. Doch die tausend Jahre, die vergangen waren, hatten das Salz der Klosterregel als Hilfe zur Missionierung des Abendlandes und der Kirche selber taub werden lassen. Kritiker meinten später: In den Klöstern wurde zum Schluss zuviel gebetet und zu wenig gearbeitet. Die Klöster seien an ihrem Müßiggang zu Grunde gegangen.

 

Daher kehrte Luther dem Kloster entschlossen den Rücken und wandte sich der Kirche und der Gesellschaft zu.

 

Die Kirche hatte  über ihrem Wachstum über alle Grenzen hinaus, wenn auch nicht den Verstand verloren, so doch ihre Seele vergessen. Ich nenne als Beispiel nur jenen Papst, der seinen Affenpfleger aus Dankbarkeit die Kardinalswürde verlieh, aber auch die vielen Kardinäle, die unzähligen Diözesen vorstanden, aber in ihrem Leben nicht eine davon gesehen hatten.

Seelsorge gleich null.

Dieser Seele gehörte die ganze Aufmerksamkeit der Reformation, ihre Mission war innerlich. Sie richtete sich nicht auf den fernen, sondern auf den nächsten Nächsten. Sie erneuerte nicht den Glauben, sie erneuerte den Glaubenden.

Wiederum  war das heidnische Rom zu einem mächtigen Stein des Anstoßes geworden. Ein Brocken, der der Kirche einen gewaltigen Stoß versetzte, an dem sie diesmal in zwei Stücke zerbrach.

 

Die Reformation war Arbeit an der Seele der Kirche. Und damit begann das bisher letzte Kapitel des siegreichen Heidentums in unserer Mitte.

Mit uns begann nämlich der Siegeszug der Arbeit. Gerade mit uns, die wir doch die Kirche verlassen hatten als Anhänger einer Rechtfertigung allein aus Gnade, ohne jede Beimischung der Werke.

Und gerade durch uns musste die Arbeit hoffähig gemacht werden. In unseren Reihen wurde es möglich zu sagen: Arbeit ist auch ein Gebet.

 

Das hat letztlich etwas mit Luther zu tun. Und der Karriere, die die Arbeit innerhalb des Protestantismus machen durfte. Deshalb gehört die Arbeit heute zu den Heiligen Kühen, die nicht geschlachtet werden dürfen. Womit die Beziehung zum Heidentum bereits angedeutet sein könnte. Heilige Kühe, ja, aber sie schleppen sich ja  nur so dahin. Sie sollten den ganzen Karren der Gesellschaft ziehen, aber die Kraft dazu reicht schon lange nicht mehr aus.

Vielleicht hat sie die nötige Kraft nie gehabt.

 

Hören wir noch einmal in ein paar Sätze aus dem Munde Luthers. Er hatte sich ja gedacht, die Sonntage abzuschaffen. Nicht nur den Buß- und Bettag, wie wir heute, sondern alle Sonntage. Nicht, weil er meinte, sie seien überflüssig, sondern weil er sie für schädlich, kümmerlich hielt. Ein oder zwei Stunden wöchentlich für Gott, das erschien ihm Hohn und Spott Gott gegenüber. Der Gottesdienst sollte sich über die ganze Woche erstrecken. Jeder Wochentag ein Sonntag, jeder Tag ein Gottesdiensttag.

 

Er predigt über Matthäus 22, 34ff: „Wenn ein jeder seinem Nächsten diente, dann wäre die ganze Welt voll Gottesdienst. Ein Knecht im Stall wie der Knabe in der Schule dienen Gott. Wenn so die Magd und die Herrin fromm sind, so heißt das Gott gedient. So wären alle Häuser voll Gottesdienst und aus unseren Häusern würden eitel Kirchen, weil dort Gott gedient würde.“

“Wisse, daß Gott nichts anderes bedeutet als deinem Nächsten dienen und mit Liebe wohltun, es betreffe Kind, Weib, Knecht, Feind, Freund, ohne Unterschied, wer dein bedarf an Leib und Seele, und wo du leiblich und geistlich helfen kannst. Das heißt Gottesdienst und gute Werke.“

Raus aus der Kirche, hinein in die Gesellschaft. Entsprechend unterscheiden sich katholische und evangelische Kirche von innen.

In der katholischen Kirche ist jeder Zentimeter gestaltet, so dass alles wie ein Schatzkästlein Gottes wirkt, seine Wohnung, in dem es ihm so heimisch wie möglich gemacht wird.

 

Die meisten evangelischen Kirche haben hingegen den Charme einer Tankstelle oder einer Bahnhofshalle. Mehr wollen sie ja auch nicht sein. Halteplatz um aufzutanken, und dann geht es mit frischen  Kräften wieder in die Woche an die „Gottesdienstarbeit“.

 

 

Hier beginnt die Karriere der Arbeit. Noch als Dienst am Nächsten, aber schon als Gottesdienst. Arbeit kann schon Gebet sein. Bald wird sie zum Dienst an der Gesellschaft, zum Werk der Gesellschaft selber.

 

Der Protestantismus wurde so zum Aufbruch der Messe in die Gesellschaft. Der Gottesdienst im Haus und in der Arbeit sollte auch die Christlichkeit der Gesellschaft  bewirken. Darum wurde der Christ genauso in seine Arbeit berufen, wie der Prophet von Gott zu seinem Zeugnis berufen wurde, und beides wurde gleich benannt: Beruf und Berufung.  Die Protestanten wurden zu zur Arbeit Berufene, protestantische Arbeits-Ethik das Stichwort für einen sauberen und zuverlässigen Arbeiter, dessen Werk den Meister drunten und droben das Lob sang. Seine Tugenden waren: Gehorsam, Fliess. Ehrlichkeit, Ordnung, Sauberkeit, Nüchternheit, Wahrhaftigkeit, Opfersinn. Die Fabriken wurden zu modernen Kathedralen.

 

Mit der Kehrseite allerdings, dass jemand ohne Arbeit nicht nur ohne Beruf, sondern auch ohne Berufung blieb. Und wer keinen Beruf vorweisen konnte hatte Schwierigkeiten sein Leben zu rechtfertigen.

Wir fragen  nach der Karriere der Arbeit besonders in den industrialisierten Gesellschaften, nach ihrem rettenden, rechtfertigenden und unschuldigmachenden Charakter. Und nach dem Verlauf, in dem das Gebet in die Arbeit aufgegangen ist, sich in Arbeit aufgelöst hat und nur noch als einzige Lebensstütze übrig geblieben ist. 

Und heute fragen wir nach dem Schicksal von vier Millionen Arbeitslosen und nach dem Schicksal einer Gesellschaft, der die Arbeit ausgeht. Was geschieht mit uns?

 

Nun gähnt ein Abgrund. Vier Millionen Arbeitslose wissen nicht mehr, wie sie sich rechtfertigen sollen, wie sie ihre Schuld loswerden, und die Schuldigen unter uns werden immer mehr.  Schuldfragen  brechen wieder auf, die wir längst für erledigt ansahen. Religiöses Bewusstsein, über Jahrhunderte in den Arbeitsprozeß gebunden und in ihm gefesselt, macht sich wieder frei und sieht sich ungebunden.

Denn die Arbeit hat längst ihr frommes Gesicht verloren. Ihr war die übermütige Rolle zugeschrieben worden, uns aus den Zwängen zu lösen und in das Reich der Freiheit zu bringen.

 

Einen schauerlichen Höhepunkt erreichte die Karriere der Arbeit über den Toren der Konzentrationslager. Hier demonstrierte die Arbeit ihre Macht über die Lebenden, sie zu töten.

„Arbeit macht frei“ stand über  den Toren von Dachau, Flossenbürg, Sachsenhausen, Ravensbrück und Auschwitz. Grauenhafter hat sich das Heidentum nie wieder zurückgemeldet als gerade an diesen Orten, als es das Herzstück der protestantischen Ethik zu seinen Untaten verwenden konnte.

Später hat der frühere Ministerpräsident von Bayern, F .J. Strauss noch einmal versucht, die erlösende Kraft der Arbeit zu beschwören, indem er beteuerte: „Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.“  Aber es war umsonst. Die Unschuld ist dahin. Nun kommen sie alle wieder, diese Geister, die wir in der Arbeit auf ewig gebunden glaubten: Die Schuld, der Glaube, das Gebet. Vielleicht liegt hier ein neuer Anstoß für uns alle. Der Ruck, den keiner will.



 

Über teofilo.de

Theophil war der Vorname meines Vaters. Mein Vater wurde ein paar Monate vor meiner Geburt aus Russland als vermisst gemeldet. Durch meinen langen Aufenthalt in Italien hat sich der Name Theophil um ein erstes "h" und sein "ph", das zu "f" geronnen ist, verschlankt. Ich selber nicht.

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