Kainszeichen - Haus am Lützowplatz 16. Mai 2022 Aischylos - Der Bericht des Boten (Perser) und des Herolds (Agamemnon)
Aischylos, der erste der drei großen griechischen Tragiker.
Als erstes erinnere ich mich an meinen Philosophielehrer Wilhelm Anz, der immer mit Nachdruck formulierte: was den Zustand der Welt und die Vieldeutigkeit des Menschen betrifft, hatten die Tragiker gegenüber den Philosophen Platon und Aristoteles den klareren Blick. Sie haben tiefer gesehen als jene.
Aischylos war also er erste, 525 in Eleusis geboren, heute ein Vorort von Athen, und 456 in Gela auf Sizilien gestorben und dort auch begraben.
Er entstammte einer adeligen Familie, er hatte gediegene Bildung, Dionysos selbst soll ihn bewegt haben, Dichter zu werden. Früh bewarb er sich mit eigenen Stücken bei den Dionysien, in denen er auch selber Rollen spielte, zunächst ohne Erfolg. Doch hat er dort ingesamt 13 Siege errungen, unter anderem auch mit den Persern. 90 Stücke hat er geschrieben, davon sind knapp 70 auch namentlich bekannt, 7 überliefert.
Als schon erfolgreicher Dichter nahm er an beiden Kriegen mit den Persern teil, kämpfte in Marathon 490 und in Salamis 480. Mit diesem Thema gewinnt er in Athen.(472, acht Jahre nach der Schlacht bei Salamis, erste Aufführung der Perser)
Zuvor und auch danach re
iste er nach Sizilien, und verstarb dort im Alter von 69 Jahren.Die Version seines Todes ist so originell und ohrwurmartig, dass man sich, hat man sie gehört, anschließend nichts mehr merken kann. Darum werde ich sie hier nicht anführen. Auf seinem Grabstein steht sich nicht, sondern allein, dass er ein großer Kämpfer gewesen sei, dessen große Kraft bei Marathon die dichtlockigen Perser erprobt hätten. Von seinen 90 Theaterstücken kein Wort. Inzwischen ist es genau umgekehrt Wir kennen ihn hauptsächlich als Dichter, kaum noch als Krieger. Die Perser, die Orestie, Sieben gegen Theben, der gefesselte Prometheus, die Schutzflehenden.
Dazu kommen eben noch Marathon und Salamis.
In dem Stück Die Perser habe er seine Kriegserfahrungen verarbeitet. Das wird schon so sein. Das heißt aber nicht, dass man sie gleich mit anderen ins Verhältnis setzen kann, etwa mit „Im Westen nichts Neues“. In ebenso großer Erfolg mit einer Millionen Exemplare im Zeitraum nur eines Vierteljahres. De4r Unterschied zu Remarque liegt darin, dass bei ihm fast ausschließlich die Erfahrungen der eigenen Leute thematisiert werden, während in den Persern nur vom Feind, nur vom Leiden der Perser gehandelt und gesprochen wird, mehr oder weniger artikuliert. Denn der leidet bleibt nicht immer Beherrscher seiner Sprache, und das nicht, weil er Barbar ist und schon deshalb keine schöne Sprache kennt.
Nach dem die Perser das attische Griechenland mit Krieg überzogen haben, dann aber eine heftige Niederlage erlitten, schreibt Aischylos ein Stück, das nur vom Feinde handelt.
Um einen unzulässigen Vergleich zu wagen, oder besser gleich zwei davon. Das wäre in etwa so, wenn die Ukrainer nach ihrem Sieg über Putin und der vernichtenden Niederlage der Russen eine Stück auf ihrem Kiewer Festival prämierten, in dem nur von Russen gehandelt und würde und ihrem Leid. Titel „Die Russen“.
Oder wenn, zweitens, ein englischer Autor amerikanischer Herkunft, also T.S.Eliot etwa, außer Mord im Dom und Familientag und noch ein Stück „Die Deutschen“ verfasst hätte, im Jahr 1952 etwa, indem nur das Leiden der Deutschen Thema gewesen wäre.
weil dies nicht geschrieben wurde, war es auch undenkbar. Nicht einmal unter der Maxime: Das Leiden des Besiegten ist die Freude des Siegers. Bei uns trennen Abgründe die verfeindeten Parteien.
Ein Stück wie die Perser kann man nur schreiben, wenn es irgendetwas gibt, dass auch den geschworensten Feind anverwandelt, bestimmt ganz gegen dessen Willen.
Es kann die Zerstörungskraft des Krieges sein, die Sieger und Besiegte oft in gleichem Maße heimsucht. Ares ist der Herr der Schlacht, der Kriegsgott spielt das Würfelspiel der Schlacht, schnaubt, rast, bläst die Kampfreihen vorwärts, dürstet nach Menschenblut; wer mordet, ist von ihm erfüllt. Dies sind Zitate aus Sieben gegen Theben., von dem res heißt, das Werk sei des Ares voll. Dann sind Meldungen vom Sieg wie Meldungen über Niederlagen.
In den Persern tritt ein anderes, Gemeinschafterzeugendes in die Mitte. Das Leid der besiegten Perser. Nicht partiell, die Perser leiden als Verlierer, wir freuen uns, sondern universell - ihr Leid ist auch unser Leid.
Denn wie soll man sich einem Stück nähern, in dem alle Aufmerksamkeit einem Aggressor gilt, der die Hauptstadt erobert und großes Leid über die Griechen bringt. Aischylos verlor seinen Bruder in der Schlacht bei Marathon.
Es war übrigens nicht so, dass man bei den Griechen ungestraft Partei für eine gegnerische Partei ergreifen konnte. So ein Fall wie der von Gerhard Schröder wäre wohl nicht vorgekommen. Das Gemeinwesen hätte jenes Verfahren in Gang gesetzt, das unter dem Ostrakismus bekannt ist. Eine Mindestzahl von Bürgern war nötig, an einer Abstimmung teilzunehmen, bei der der Name der Person auf eine Tonscherbe geschrieben wurde, die in die Verbannung geschickt werden sollte. Kam eine Mehrheit zustande, musste
die Person das Gemeinwesen nach einer angemessenen Frist verlassen. Es wurde über die Grenze geschickt, aber nicht bis ins Lager des Feindes. Denn die Verbannung sollte nicht zur Stärkung des Feindes führen. Schröder, der übrigens Mitglied dieses Haus am Lützowplatz ist, hätte sowohl nach Polen als auch in die USA verbannt werden können. Dort konnte er auf einen Sieg Putins warten, um mit seiner Hilfe wieder im Triumph zurück zu kehren. Ostrakismus war ein scharfes Schwert. Bisweilen fanden sich bis zu 20000 Verbannte in einer Stadt. Gegnerversteher oder zu mächtig Gewordene. Aber - das ist der Unterschied zu moderneren Erscheinungen: sie wurden nicht enteignet, nicht entehrt und nicht ermordet. (Viele dazu bei Herodot)
Im Stück des Aischylos werden die Perser zwar vernichtend geschlafen, aber nicht annihiliert. Im Gegenteil, Aischylos gibt ihrer Niederlage viel Raum und klagende Stimme. Eine Art sieghafter Präsenz durch Leiden. Oft nur gestammeltes, geschrieenes Leid, man müsste das Leid des Xerxes am Schluss des Stückes jetzt so vortragen können, wie es die Zuhörer damals gehört hat, um das Mitreißende der Szene zu erfassen.
Nietzsche hat das Thema des Leidens auf seine herrische Weise okkupiert. Man errät: Das Problem ist das vom Sinn des Leidens: ob ein christlicher Sinn, ob ein tragischer Sinn.
Ich lese mal den kurzen Abschnitt ganz.
Band III, s. 773
Der in Stücke geschnittene Dionysos ist eine Verheißung des Lebens: er wird ewig wiedergeboren und aus der Zerstörung heimkommen.
Dionysos, der Lenker des Aischylos. Da sind wir wieder bei ihm. Beinahe hätte Nietzsche ein Wörterbuch zu Äschylus angelegt. Die Anregung kam von Ritschl. Zugesagt hatte er schon. Könnte man einfach nachlesen, was er zum Zentrum der Leidensanschauung des Äschylus gesagt hätte. Im Agamemnon wird der Sieg des Zeus über die früheren Götter gepriesen, denn erst mit Gewinnt der Mensch Einsicht, Verständnis des Ganzen.
Er, Zeus, brachte die Menschen auf den Weg zum Denken, zum richtigen Denken. Er gab das Gesetz: Durch Leiden lernen. Pathos - Mathos. Tun, leiden, lernen. - und es wächst wider Willen weiser Sinn.