Kleiner Wochenrückblick
Am 22. Dezember 2021 ist Fred Riedel, der Stadtbekannte, con la maiuscola, verstorben. Am Freitag haben wir ihn sechs schmale Urnengräber von Fontanes Grab entfernt auf dem französischen Friedhof beigesetzt. Zu Fontane wollte er zum Schluß gerne hin, zu dessen Wohnung in der Innenstadt er zuvor soviele seiner Freunde geführt hatte. Regen und Sturm hatten lange Zeit gedroht. Ich hatte mich schon auf ein Treffen auf der Heide wie in King Lear vorbereitet. Doch dann wehte ein Wind, ab und zu schien die Sonne und uns traf eine Kälte, der Fred schon unter ganz anderen Umständen mit unbeirrbarer Haltung begegnet war. Die Feier hatte etwas von jener peregrinatio, die Fremdsein und Vertrautsein eng miteinander verknüpft. Roland Schäfer las den 90 Psalm mit großem Zorn. Eine Befreiung des zum lieben Gott verniedlichten Herrn der Welt: Blitz, Donner, Sturm. Auf der Heide. Im Anschluß in der Kirche St. Matthäus leuchteten in den Berichten seiner Freunde ein einige starke Reflexe auf, die Fred Riedel in die Gegenwart zurückbrachten, aus der er noch kaum entschwunden war.
Als Hannes Langbein von der Stiftung St. Matthäus die ersten Skizzen zu der verschwundenen Stadt um die Matthäuskirche entwarfen, fiel mir die Führung mit Fred durchs Vietrtel wieder ein. So wurde er dann zu einem Pfeiler dieser wegen Corona sich über zwei Jahren hinziehenden Veranstaltung, die eine große Ausstrahlung in die Stadt entfaltete. Alle Texte werden in einer Broschüre versammelt und Fred Riedel zu Ehren von seinen Freunden herausgegeben. Informationen bei Linda Schily)
Am Sonntag dann ein Gedenkgottesdienst aus Anlaß der 77. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz in der Sophienkirche in Mitte. Der Hebräische Chor Berlin, in dem ich seit seiner Gründung mitsinge, war eingeladen, den Gottesdienst mitzugestalten. Es wurde eine würdige Feier, in der Salomea Genin eindringliche Texte aus ihrem Leben las und der Organist Schmauss eine unfassbare Predigt auf seiner Orgel hielt.
Ein paar Gedanken kamen mir nach dem Gottesdienst wieder hoch: Immer reden wir von den Naziverbrechen, obgleich 10 Millionen Deutsche Mitglied der NSDAP waren. Lag diesen Verbrechen nicht ein Netzwerk zu Grunde, in dem die Deutschen aus Schuld und Schicksal verflochten waren?
In der Aufzählen der Verfolgten erwarten wir inzwischen in dieser Reihenfolge: Juden, Sinti, Roma, Kommunisten, Lesben, Schwule, Behinderte, Asoziale. Ein Abstieg zu den Kellerkindern. Gehören hier nicht auch her die Schriftsteller, Künstler, Musiker, Komponisten, Schauspieler, Psychoanalytiker. Deren Verfolgung und Vertreibung das geistige Leben in diesem unseren Land so an den Rand der Steppe gebracht hat?
Es war eine heftige Woche und ich freue mich, dass ich heute an meinem freien Tag zum Zahnarzt gehen darf.