Das Dämonische
I
Das Dämonische als Metapher oder doch nur ein Virus?
Das Interesse unter uns am Dämonischen war ziemlich einhellig.
Das ist möglicherweise schon selbst ein Teil des Themas.
An das Grundfragen zu richten sind: Gehört das Thema in die philosphische Abteilung oder in die Religionskunde oder zu beiden?
Psychoanalyse, Ethnologie und politische Soziologie könnten sich auch noch für das Dämonische interessieren. Natürlich noch Theater und Film.
Warum eigentlich alle zusammen? Wettlauf um ein Thema? Eine Ursache für eine unübersehbare Zahl von Wirkungen?
Und wenn Hoffnung, worin könnte sie bestehen: Durchbrechen des Kausalzusammenhanges, in dem wir um unsere Freiheit bangen?
Und wenn Angst unser Interesse leitet, dann auch wegen der Durchbrechung des Kausalzusammenhanges, der uns trägt?
Dämonie ist deutlich eine existentielle Fragestellung, nicht nur die Idee einer externen oder internen Macht.
Es ist immer unangenehm, wenn etwas überall gleich gern gesehen ist, auf jeden Fall scheint es verdächtig
Weil es dann keine rationale Fragestellung mehr ermöglicht, sondern eine die Welt in ihrer Ganzheit befragt. Wer aber aufs Ganze geht, der hat es schwer, Objekt und Sujekt zu unterscheiden, sondern landet im Alles in Allem.
Es sei denn, es gelänge uns die Aufklärung über den Gegenstand Dämonie. Dann ginge alles normal weiter.
Der Dämon nur ein Virus, den man letztendlich bekämpfen kann?
Ich erinnere an Susan Sonntags Diskussion über Tuberkulose, genannt Schwindsucht in Krankheit als Metapher. Die Schwindsucht stand für Lebensuntauglichkeit, zu fein, zu sensibel, zu schwach, präsportiv. Aus Schwindsucht ein begorener Bewohner des Zauberbergs. Nun, inzwischen hat Davos seinen alten Ruf leiser gestellt und ist zum Ort der Weltbemächtigung geworden und damit eingetreten in die andere Krankheitskonstellation, die sich Susan Sonntag vorgenommen hatte: den Krebs.
Krebes steht stellvertretend für zuviel Lebensaktivität. Zu heftig dabei, bis über beide Ohren eingedeckt mit Tätigkeit. Krebs ist die metaphysische Antwort auf zuviel Arbeit und nicht mehr tragbare Verantwortung.
Das Warten auf den Virus im Blick auf die Lungentuberkulose hatte sich gelohnt.
Beim Krebs warten wir noch auf den Virus.
Ist das Dämonische auch die Metapher für etwas anderes im Leben, weil
es die Tendenz hat, die eine Ursache für zuviele Wirkungen zu sein? Die französische Revolution, die Kriege, den Nationalsozialismus, für aus der unbewaffneten Anbetung ausbrechende Religionen;
bis hin zum Wetter: Das Chaos auf den Straßen braucht eigentlich einen Urheber, eine Macht. Wetter-einbruch ist ein wundervolles Wort.
Daimonion, negativ
Ungeheuer ist das Dämonische nicht, wenn es als Ratgeber und Wegweiser auftritt. Sei es hindernd wie bei Sokrates, sei es warnend wie im Gewissen.
Sokrates glaubt seinem Dämon, der ihm etwas Göttliches ist. Eine Stimme, die mir von etwas abredet, was ich tun will, zugeredet hat sie mir nie. (Apologie) Sie hat sich ihm widersetzt, die Staatsgeschäfte zu treiben.
Die Anklage gegen Sokrates lautete auf Gottlosigkeit, weil er die Jugend zum Abfall verführe, und auf Herabwürdigung der Götter, weil er seinen Daimon höher als die anderen setzte. Die Anklage mochte sich nicht entscheiden, ob er nun gottlos sei oder anderen Göttern folge und ließ beides gelten. Womit der Dämon wieder einmal Recht behielt: lass dich nie in Staatsgeschäfte ein. Sie bringen dir den Tod.
Daimonion positiv
In der Folgezeit, dem Christentum, redete der Daimon, die innere Stimme, als Gewissen erstaunlich bestimmt und positiv. Du sollst, du sollst, du sollst - auch wenn die 10 Gebote die Form von Du sollst nicht ! haben. Wie bei Sokrates, aber Luther und den Lutheranern war das zu wenig. Sie versahen die innere Stimme mit Inhalten: der kleine Katechismus erklärt, was die 10 Gebote uns zu sagen haben.
Daimonion - wieder negativ
Erst Heidegger geht in Sein und Zeit dem Hören auf das Man nach, das zwar einen positiven Inhalt hat, das aber zu einem Über-hören des Selbst führt. Dem ist nur von innen, durch einen Ruf aus dem Selbst heraus, beizukommen. Der Ruf, sagt Heidegger, hat jedoch keinen Inhalt. Das Gewissen redet einzig und ständig im Modus des Schweigens. Das Dasein ruft im Gewissen sich selbst, um das Dasein aus der Gefangenschaft durch den Alltag zurückzurufen. Ein Weckruf.
Der Ruf ergeht gegen das, was einer jener Sager des Seins, Hölderlin, so gesagt hat: Und es listet die Seele Tag für Tag der Gebrauch uns ab. Der Ruf geht an die Seele, sich nicht zu verlieren.
Der Ruf ist ein guter Dämon, ein Ruf, der das eigene Seinkönnen zum Inhalt hat, aber im Modus des Schweigens. Höchstens schlägt das Gewissen.
Daimonion - wieder positiv
Ist der Dämon aber auch als das Genie des Künstlers zu verstehen? Diesmal nicht Ruf sondern Kuss. Musenkuss. Hat ein Kuss eigentlich einen Inhalt, und wenn ja, welchen Inhalt hat er?
Der Sturm und Drang, der das Genialische im Künstler entdeckte, forderte dadurch die Autonomie für die Kunst und stellte zugleich die Frage, woher der Künstler seine Eingebungen erhalte. Auch von einer gegenüber der Tradition unabhängigen Einrichtung wie etwa der des Dämon? Und warum bekommt nur er sie und nicht auch die anderen? Wie ist das exklusive Verhältnis zwischen Künstler und Muse? Jeder ist ein Künstler, und die dann Muse eine Prostituerte?
Hat der Kuss der Musen etwas Dämonisches? Sind die Musen Dämonen?
Die Musen bei den Griechen waren Quellgöttinnen, drei an der Zahl und Töchter des Zeus und der Mnemosyne. Ihre Bereiche waren Gesang und Erinnerung. Darum Quellgöttinnen. Andere Quellen sagen, dass sie Töchter des Uranos und der Gaia waren (Himmel mund Erde sozusagen). Sie waren übrigens eifersüchtig auf Menschenkinder, die ohne ihr Zutun gut singen konnten und bestraften sie schwer. Zum Beispiel den thrakischen Sänger Thamyris. Sie blendeten ihn und ließen ihn sein Harfenspiel vergessen. Sie waren ja schließlich zugleich die Göttinnen der Erinnerung.
Später wurden es neun Musen, die in diesem Zusammenhang zu erwähnen, von den ebenfalls neun Töchtern des Piero im Sangeswettbewerb herausgefordert. Doch unterlagen sie und wurden in Dohlen verwandelt, wie Ovid berichtete. Die Musen sind eifrige Götter, die den nicht ungestraft lassen, der Kunst ohne sie machen will.
Dafür heben sie ihre Gefolgsleute dann vor allen anderen hervor. Hesiod war der erste, der sich auf sie berufen hat.
Ist der Kuss der Muse aber ein Dämon?
Dann wäre hier der Dämon einmal nicht im Dienste des Satans sondern im Dienste eines oder vieler Götter. Seine Eingebungen wären dem Urteil der anderen entzogen. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Und eine Kunst von Dämons Gnaden kann nicht vor den Richtstuhl gezerrt werden. (Freiheit der Kunst) Ganz im Gegensatz zu Gott selbst, der ohne Dämon auskommen muss und bald Objekt wohlfeiler Lästerungen werden wird. Will sagen, der Dämon bleibt positiv.
Transzendenz der Kunst durch Geniegabe
Daimon - wieder negativ Frankfurter Schule
Es sei denn, wir betrachteten den Sturm und Drang und alle darauffolgenden Perioden einer Autonomie der Kunst mit den Augen der Frankfurter Schule und ihrer Abrissanträge gegen Elfenbeintürme. Kein Mieterschutz für Elfenbeinturmbewohner. Für sie war die Autonomie pure Negativität und der Dämon reine Drückebergerei als Fluchthelfer vor der Wirklichkeit. Man darf das Grauen nicht ästhetisieren.
Doch mir kommt dies alles vor wie Ornamentalmalereien von Heinrich Heine. Das Argument von Karl Kraus gegen heine war ja gerade dies, dass er den Stoff in Girlanden verwandele. Heine betreibt Unzucht mit seiner Muse. Aber Heine ist voller Witz, von dem Alfred Polgar meint: Witz ist Unzucht wider die Kausalität. Dagegen ist die Kunst das Zuchtvolle wider die Kausalität. Wenn sie das noch ist, denn die Kausalität ist lädiert. Wenn sie nicht ohnehin zerbrochen ist und damit auch die Chancen des Witzes und der Kunst. Dann wird es jetzt todernst.
Denn die Gewalt des Dämons zeigt sich nicht im Leben, sondern erst da, wo der Tod zum Thema wird.
II
Daimon - positiv und negativ
Zwei Erscheinungen drängen sich als Einbrüche in unsere Wirklichkeit auf:
Der Nationalsozialismus und seine geordnete Vernichtung der Anderen und seiner selbst.
Und der religiöse Terrorismus.
Erklärungsversuche von beiden machen aus Ratlosigkeit Anleihen beim Reich des Dämonischen, was damit als abgründig negativ gestempelt ist. Das Dämonische geht direkt in das Satanische über.
Zum Nachteil des Dämonischen, denn nun sieht man im Künstler auch leichter das Satanische hervordringen: Paganini, Bacon etc.
Das Positive im Dämonischen ist in eine schwere Krise geraten.
Was haben beide Bewegungen gemeinsam?
Beide kennzeichnet eine absolute Reinheitsforderung mit nachfolgender Reinigung: Nämlich dass verschwindend gemacht werden soll, was nicht dazugehört. Was der eigenen Rasse widerspricht und was dem eigenen Glauben widerspricht. Beiden liegen monologe Weltansichten zugrunde. Dialog muss von zwei unterschiedlichen, auch gegensätzlichen Positionen ausgehen, die nur deshalb in Dialog eintreten können, weil jede Seite einen Teil der Wahrheit in sich trägt.
Die Uniformität des Lebens und der Anschauung findet nach Erreichen des Zieles keinen Dialogpartner mehr. Sie gehen am Mangel an innerem Widerspruch zugrunde. Sie schlagen nur das Tödliche im Dämonischen an, aber nicht mehr dessen Leben hervorbringende Seite. Darum ist wohl der Begriff des Satanischen, als das zerstörerische Prinzip, hier angebracht.
Das Dämonische - schöpferisch und zurstörerisch zugleich
An den Dämonen haben alle Zeiten diesen inneren Widerspruch gesehen, schöpferisch und zerstörerisch zugleich zu sein.
Dämonen sind von Gott abgefallene Engel, sie sind von Gott Geschaffene, die durch sich selbst böse geworden sind. Das heißt, ihre Erschaffenheit durch Gott konnte auch ihr späterer Abfall nicht auslöschen. Sie sind vomn göttlicher Herkunft und haben eine böse Zukunft. Doch so, dass das Göttliche im Bösen immer anwesend bleibt und das Böse das Göttliche nur verdunkelt.
Oder mit anderen Kategorien, die an das Genie als Dämon anknüpfen. Das Genie vertritt die schöpferische Seite im Dämonischen. Aus ihm kommt das überraschend Neue, dass mit der Vergangenheit bricht, die Formen auflöst, in denen sich zuvor das Schöpferische erschöpfte. Genie als Wettereinbruch - aber mit einem Herzlich Willkommen!
Es kann die alte Form zerbrechen und eine neue Form finden. Im Dämonischen werden Tod und Leben immer zusammen genannt.
Wie zum Beispiel beim Bodengott, der das Blutopfer der Menschen fordert, der Leben verschlingt um Leben zu schaffen. Für Paul Tillich, dem ich hier in vielen Aspekten folge, das Urbild für die Dämonie der Wirtschaft, die das Leben der in ihr Arbeitenden ´verschlingt um das Leben der Gesellschaft zu garantieren.
Oder das Urbild für der politischen Dämonie, das im Moloch die Erstgeburt der Gesellschaft fordert, um das Gemeinwesen zu erhalten. Um zu leben muss man sterben. Oder wie Camus sagt: Ein guter Grund zu leben ist immer auch ein guter Grund zu sterben.
Moloch ist ein Gott, dem die Israeliten Kinderopfer darbrachten. Leviticus, Jeremia 32: Moloch, in hebräischer Aussprache Molaek, nahe verwandt mit melek, was König bedeutet, oder malach, was Engel bedeutet. Das Dämonische, wie man sieht, ruht auf der Spannung zwischen Bewahren und Zerstören, verschlingen und gestalten.
Das Dämonische in der Kunst heute ist zum einen die Beauftragung der Künstler, durch ihre Kunst die Gesellschaft zu bewahren, die andererseits an diesem Auftrag verkümmern, zu asketischen Leben verurteilt seine Opfer werden.
Mit anderen Worten: In jedem schöpferischen Handeln ist Zerstörerisches enthalten. Bindungen an die Tradition werden zerbrochen, Gewohnheiten aufgelöst, Erinnerungen gelöscht - doch wenn daraus eine neue Gestalt entsteht, dann siegt das Göttliche über das Satanische im Dämonischen, dann siegt das Positive über das immer auch anwesende Negative. Das Dämonische ist fürs Leben unabdingbar.
Das Satanische
In Wirtschaft, Politik und Kunst sehen wir starke dämonische Kräfte am Werk, Zerstörung und manchmal Aufbau.
War in diesem Verständnis der Nationalsozialismus dämonisch oder satanisch. Meines Erachtens wusste er um den Abgrund seines mörderischen Handelns. Darum vernichtete er nicht wahllos Leben, sondern versuchte seinem Morden eine seinem Handeln eine rechtfertigende Gestalt zu geben: die Gestalt zuverlässiger Verwaltung. Ich halte darum die Überschrift über 5 Kont´zentrationslagern "Arbeit macht frei" außer für einen zynischen Spruch, weil das alle sagen, für eine ernstgemeinte Rechtfertigung: Wir haben uns durch Arbeit erlöst von jedem Vorwurf. Ihr kennt vielleicht den umstrittenen Ausspruch Franz Joseph Strauss: Ein Volk, dass so gearbeitet hat, wie das unsere, hast ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu müssen. Es ist der Versuch, das Satanische zu Entdämonisieren.
Aber er verstand nichts von der Inkommensurabilität von Massenmord und und dessen Inkompatibilität mit korrekter Massenverwaltung.