St. Matthäus
Wie bitte? - Vom Verstehen und Mißverstehen der Bibel
Die Glücklichpreisungen der Bergpredigt
18. Sonntag nach Trinitatis 2022
Gnade sei mit Euch und Frieden von Gott unserem Vater und unserem Herrn und Heiland Jesus Christus.
Liebe Gemeinde,
Der Künstler Via Lewandowsky hat uns sein Wie bitte in unsere Apsis gehängt.
Was meinen Sie? Hängt es da richtig? Ist das etwas für uns?
Wir verstehen Gott nicht so richtig. Darum unser häufiges Wie bitte?
Man müsste noch einmal nachfragen.
Wer fragt?
Stimmt es, dass wir nachfragen?
Unsere Geschichte mit Gott berichtet anderes. Gott redet und wir gehen einfach weiter. Wir tun so, als hätten wir nichts gehört oder haben nichts gehört. Der Prophet Jeremia So spricht der Herr: „Ach mit wem soll ich noch reden, und wem soll ich Zeugnis geben? Dass doch jemand hören wollte! Aber ihr Ohr ist unbeschnitten; sie könnens nicht hören. Sie halten des Herrn Wort für Spott und wollen es nicht hören.“
Das Wie bitte da vorn ist, nach Jeremia, schon ein Glücksfall. Wir würden Gott glücklich machen, wenn überhaupt jemand fragt. Wenn jemand anhält und fragt. Aus dem Tritt kommt.
Jetzt sagen viele Die Sprache Gottes hindert uns. Wir verstehen ihn nicht. Spräche er zu uns in unserer Sprache, würden wir auf ihn hören.
Zum Beispiel dies Wort Seligpreisungen.
Glücklichpreisungen wäre viel besser.
Glücklich sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
Der Vorschlag ist brandaktuell. Glücklich statt selig, damit wir besser wissen, was gemeint ist.
Wäre dieser Wandel eine Nachfrage wert? Darum soll es heute gehen.
Und über den Künstler und seine Frage an uns.
Unter den vielen verrätselten Aktionen des Künstlers Via Lewandowsky hat mich eine besonders verblüfft. Die Beschreibung findet sich im Internet. Zum 20. Jahrestag des DDR-Endes im Jahr 2009 schoß er in Dresden über die Köpfe der Feiernden eine mit Konfetti geladene Kanone ab. Das Konfetti bestand aus verschnipselte Visitenkarten, auf die die Namen und Daten von zehntausenden einstmals anonymen Stasispitzeln geschrieben waren.
Ein Regen mit allen wichtigen Informationen über die Stasi ging auf die Feiernden nieder - aber er blieb unfruchtbar. Der Konfettiregen war nicht zu verstehen.
Damit fange ich noch einmal von vorne an.
Liebe Gemeinde,
diese Anrede müsste eigentlich das erste Wie bitte? auslösen.
Warum sagen die Prediger seit zweitausend Jahren immer Liebe Gemeinde, wie der Apostel Paulus damals, als wäre in der Zwischenzeit gar nichts passiert?
Man kommt sich als mail Schreiber ja auch immer komisch vor, wenn man zum Beispiel Liebe Claudia schreibt. Wie jemand, der über sein Ziel hinaus schießt. Ins Übergriffige. Also schreibt man dann doch lieber: Hallo Claudia. Das klingt nach Zuruf über weite Distanz, wie von einem anderen Ufer.
Vielleicht verstünden wir uns auch besser, ´wenn ich Hallo Gemeinde sagte. Hallo Gemeinde passte dann vielleicht auch besser, weniger aufdringlich, cooler.
Oder einfach nur : Hi!
Wenn die Gemeinde nicht über das Liebe Gemeinde stolpert, sondern erst über das Hallo Gemeinde, wäre es ja auch nicht zu spät. Weil sie sich fragt: Wo bleibt denn die Liebe Gottes. Ist das Liebe Gemeinde nicht auch ein Wort aus dem Mund Gottes an uns, das mehr als zweitausend Jahre überlebt hat?
Also noch einmal deutlich: Liebe Gemeinde
Die Prediger dieser Reihe sollen sagen, welcher biblische Vers sie aus dem Tritt gebracht haben. Worüber sie gestolpert sind.
Das beste, was einem als Prediger passieren kann. Der Gemeinde auch.
Das Gegenteil von Stolpern ist schlurfen, kommt von schlürfen. Einen Tee ohne Geschmack kann man schlürfen, eine scharfes Getränk nicht. Einen Flur kann man entlang schlurfen, einen steinigen Weg nicht.
Gerade beginnen wir, mit solchen Wegen unsere Erfahrungen zu machen.
Unsere Passagen füllen sich mit Steinen an. Die höchsten Sprünge macht man in Sackgassen. Eine alte Weisheit lässt sich wieder blicken. Die Gegenwart will uns aufgeweckt.
Die Politik möchte uns nicht so. Die Freude auf einen starken Staat mit viel Wumms verbindet sich. It dem Wunsch nach einem hilfsbedürftigen Bürger.
Ich weiß nicht, ob Ihnen nicht auch aufgefallen ist, es kann aber gar nicht anders sein, dass heute jeder, aber wirklich jeder Politiker sagt: Diese Maßnahme haben wir inzwischen auf den Weg gebracht. Jeder hat heute etwas auf den Weg gebracht.
Als erstes denkt man dann: Na, auf dem Weg ist es bald so voll, dass da gar nichts mehr geht. Nicht einmal stolpern geht noch.
Aber das geht in die falsche Richtung.
Denn das „Auf den Weg gebracht“ der Politiker soll uns sagen: Alles geht jetzt seinen richtigen Gang. Wie von selbst.
Wir haben die Maßnahmen zu einem Paket geschnürt und verschiedene Pakete auf den Weg gebracht.
Der Weg i erweist sich als ein gedankliches Transportband, auf dem die Pakete sicher ihrem Ziel entgegen gehen, zumindest unterwegs sind.
Das gehört, erübrigen sich alle weiteren Fragen.
Prof. Markschies hat am vergangenen Sonntag Jesu Antwort „Lass die Toten ihre Toten begraben“ zu seinem Stein des Anstoßes gewählt. Schamhaft hat er sich gefragt, wieso er sich als junger Theologiestudent darüber nicht gewundert, sondern in seiner Seminararbeit stolz geschrieben habe: Genau so ist. So muss es sein.“ Warum bin ich eigentlich damals nicht gestolpert und habe gesagt: Wie bitte? Die Verneinung des wichtigste Kennzeichen der Zivilisiertheit, dass wir unsere Toten begraben, soll das Kennzeichen der Nachfolge Christi sein?
Wie bitte? Ist gerade die lästigste Frage in der Politik und die wichtigste Haltung eines Christen: Warum verwundert ihr euch nicht? Das ist vollkommen biblisch Und sie verwunderten sich sehr.
Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden - wie bitte?
Das ist heute mein Punkt. Selig sind, die da Leid tragen? Mit der Musik des Brahmsschen Requiem im Ohr klingt das richtig gut.
Aber auch noch, als mir jemand sagte, bei den Seligpreisungen müssten jetzt unbedingt Korrekturen in der Übersetzung vorgenommen werden, bin ich nicht hochgeschreckt.
Luther hätte mit seinem selig sind die Passagen völlig einseitig und tendenziell übersetzt. Im Griechischen hieße es nämlich glücklich und nicht selig.- Die Seligpreisungen seien eigentlich Glücklichpreisungen. Glücklich sind, die da Leid tragen. Das sei von Jesus ganz irdisch gemeint, gar nicht geistlich-himmlisch-jenseitig. Luther habe sowieso die unterschiedlichsten griechischen Worte einheitlich mit selig übersetzt, auch da, wo im Griechischen glücklich, gerettet oder Heil stand. Das Hebräische kenne das Wort selig überhaupt nicht. Und wir hätten ja auch keine Vorstellung mehr davon, was selig eigentlich sei.
Ich muss gestehen, dass ich im ersten Augenblick dachte: klingt wirklich erleichternd - irdisch glücklich statt himmlisch selig.
Aber als Pfarrer Langbein mich fragte, ob ich mir in dieser Reihe Gedanken zu Wie bitte? machen wolle, kamen mir sofort wieder die Aktion Glücklichpreisungen statt Seligpreisungen hoch. Und dazu die Begründung, wir hätten sowieso unsere Schwierigkeiten mit der Seligkeit - also weg damit!
Das stimmt, was unsere Schwierigkeiten betrifft. Vielleicht erinnern Sie sich:
Die Goetheinstitute und der deutsche Sprachrat fühlten sich im Jahr 2004 aufgerufen, das schönste deutsche Wort zu küren. Sie wählten das Kompositum Habseligkeiten. Weil in ihm die Armut und die Seligkeit des menschlichen Glückes eine so wundersame Verbindung eingegangen sei. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellte: Wie mühselig von Mühsal und trübselig von Trübsal, so kommt habselig nur von Habsal ohne alle Seligkeit.
So schadenfroh einen dieser Irrtum stimmen mag, es gibt da nichts zu lachen.
Die Distanz zu selig wirkt sich gravierend in der gegenwärtigen Theologie aus. Denn mit dem Argument, wir wissen eh nicht mehr genau, was selig bedeutet, geht es nun konfessionsübergreifend den Seligpreisungen ans Leben.
„Glücklichpreisungen - die Bergpredigt meditieren“ überschreibt der Theologe, Germanist und Philosoph Wilhelm Gössmann seine Meditationen. Im Nachwort kann er mitteilen, dass bereits mehrere Gemeinden planen, seine Glücklichpreisungen in Stein zu meißeln und in ihren Kirchenschiffen begehbar zu machen.
Der vormalige Ratsvorsitzende Heinrich Bedford Strohm kann sich auch vorstellen, die Seligpreisungen nach griechischer Übersetzung als Glücklichpreisungen zu verstehen,
Die Zeugen Jehovas gehen in dieselbe Richtung, wenn auch ohne Bezug aufs Griechische. Großloge Humanitas und das erzbischöfliche Ordinariat Köln liefern Beiträge.
Als ob ein Zauberlehrling am Werke wäre und die Glücksverheißungen jetzt auf alle kirchlichen Wege gebracht hätte.
Vom Glück verstehen wir mehr als von Seligkeit, also setzen wir Glück hierher.
Glück ist von Zufall durchsetzt, es bricht wie Glas, lässt sich nicht zwingen, mal passt es wie der Deckel auf den Topf, meistens aber nicht. Freud meint, der Mensch sei gar nicht geschaffen, glücklich zu sein. Die Griechen hielten das Glück des Menschen auch erst dann für vollkommen, wenn er zu den Göttern gegangen sei. Nur die Götter seien glücklich.
Abgesehen von diesen unglücklichen Behauptungen, wir stünden dem Glück näher als der Seligkeit, verweigert ein wachsender Teil der Theologen die Aufgabe des Übersetzens.
Übersetzen heißt zwei Herren dienen. Also kann es niemand. Also ist es wie alles, was theoretisch besehen niemand kann, praktisch jedermanns Aufgabe. Jeder muß übersetzen und jeder tuts. Ich zitiere den Anfang von Rosenzweigs Aufsatz „Die Schrift und Luther“. Luther hat den meisten Stoff für die Frage dieser Sonntage geliefert. Bei jedem Satz seiner Bibelübersetzung riefen die Priester „Wie bitte?“ Das soll der Bibeltext sein. Wir kennen gar nichts wieder.
Sie warfen ihm vor, ihnen die Bibel gestohlen zu haben. Wir kannten die Bibel auswendig, doch du, Luther, hast uns die Bibel aus den Händen gewunden. Ein Dieb bist du.
Es ist wohl deutlich geworden. Luthers Widersacher fühlten sich um ihre Herrschaft über die Bibel betrogen. Nun hätten sie wieder Diener des neuen Textes werden müssen und immer wieder nachfragen: Wie bitte?
Nein danke. Das wollten sie nicht.
Was wäre für uns gewonnen, wenn wir statt selig glücklich werden möchten.
Es klänge so:
Glücklich sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Glücklich sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Glücklich sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Glücklich sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Glücklich sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Glücklich sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Glücklich sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Glücklich sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
Glücklich seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.
Glücklich sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja spricht der Geist, sie sollen ruhen von ihrer Mühsal; denn ihre Werke folgen ihnen nach.
Aus der Offenbarung des Johannes.
Ist das jetzt der Übersetzer als Diener nur eines Herren. Diener einer Sprache, die es gerade noch schafft, alles Irdische zu heiligen und alles Göttliche zu erden?
Wie bitte? Ist mit der Menschwerdung Jesu Christus der Himmel gänzlich verwaist und von Gott verlassen. Und es bleibt uns nur noch das Glück der Erde und unsere Verantwortung?
Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
Ist das nicht schon die Übersetzung eines Dieners zweier Herren, Gottes und unser Diener?
Morgen beginnt simchat tora, das jüdische Fest der Gesetzesfreude. Der erste Psalm drückt sie aus:
"Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt wo die Spötter sitzen sondern hat Lust am Gesetz des Herrn."
Meint das "Wohl dem" nicht doch soviel wie "selig ist".
Amen.