Trauerfeier für Fred Riedel
Französischer Friedhof
Freitag, 28. 01. 2022 13 Uhr
Urnenempfang vor der Kapelle des Domfriedhofs
Liebe Vertraute Fred Riedels, Bekannte, Freunde Trauernde,
Überraschte, dass Fred wirklich nicht mehr dabei ist.
Wir sind zusammengekommen, um uns von Fred zu verabschieden, weil er - soll man das so sagen - ohne Abschied gegangen ist. Wir staunen, dass er, obwohl ihm dies sein Alter erlaubte, trotzdem gegangen ist. Nicht mehr dabei zu sein, gehörte überhaupt nicht zu dem Bild, das wir uns von ihm gemacht hatten und auch bestimmt nicht zu dem Bild, das er von sich selber hatte.
Mein Name ist Hartmut Diekmann, ich bin evangelischer Pfarrer, jetzt zur Ruhe gekommen, und auch ein langjähriger Bekannter von Fred. Wir hatten uns vor sehr vielen Jahren einmal um dieselbe Frau bemüht und sie beide nicht bekommen. Niederlagen verbinden, und so sind wir in Verbindung geblieben.
Bei einer früheren Trauerfeier ist mir dies passiert: Nach der Beisetzung kamen einige Verwandte des Verstorbenen zu mir und sagten: „Herr Pfarrer, es war alles falsch, was Sie gesagt haben.“
Das, denke ich, kann mir heute wieder passieren. Und Sie, verehrte Trauernde, dürfen froh sein, nicht an meiner Stelle zu stehen. Denn nach dem vorbereitenden Gespräch in kleiner Runde am Dienstag, die große Unschärfen in der Darstellung noch der kleinsten Details ans Licht brachte, habe ich mich gefragt: Welchen Fred begraben wir eigentlich?
Am Nachmittag ab 15 Uhr werden Freunde die unterschiedlichsten Seiten aus Freds Leben gespiegelt erstrahlen lassen. Darauf freue ich mich sehr. Dort werden auch die Orgel und die Violine gespielt. Musik trug Fred immer in sich. Und es tut mir leid, dass wir hier auf diesem Feld keine Musik hören. Vielleicht ist ja jemand unter Ihnen, der Fred zum Abschied noch etwas singt.
Denn das ist sicher: Ein Musikant war Fred.
Aber sonst frage ich mich und Sie:
Welchen Fred begraben wir eigentlich?
Von welchem Fred nehmen wir heute Abschied?
Verabschiedet jeder seinen eigenen Fred?
Fred als sich drehende Discokugel aus einer jener Pianobars, in denen er früh gespielt hat? Die Berichte von ihm als Pianist in den Bars der sechziger Jahre scheinen ja verbürgt zu sein. Und Fred als leuchtende, facettenreiche Kugel, deren Strahlen wir spiegeln, die er selber zuvor empfangen hat, - wäre schon ein attraktives, wenn auch gewagtes Bild.
Damit möchte ich es nicht bewenden lassen. Es ist auch zu mechanisch und zu leblos und lieblos.
Es gab ja durchaus Verlässliches in seinem Leben
Dank sei dem Ehepaar Linda und Otto Schily gesagt, dass Fred nun ganz in der Nähe des großen Wanderers Theodor Fontane seinen Platz gefunden hat. Er war ja selbst einer, der immer unterwegs war. Darin war er einem Teil der deutschen Seele sehr nahe. Als Wanderer – aber auch als Flaneur, für den in der deutschen Seele kein Platz vorgesehen ist. Eckensteher ja – Flaneur nein. Darum ist der Französischen Friedhof der Richtige Platz für ihn.
Wir gehen jetzt gemeinsam mit ihm die kleine Wegstrecke von diesem Domfriedhof, der sich als ein Vorschein der kommenden Brandenburgischen Steppe präsentiert, gehen durch das rostzernagte eiserne Tor zu seiner Grabstelle zwischen Fontane und Peter Hacks auf den französischen Friedhof.
Friedhofswege sind der Ursprung aller Wanderwege. Wenigstens bei uns. In Italien fährt man bekanntlich auch mit dem Auto auf Friedhöfen. Sie haben Straßen, denn dort kommen die Toten ins himmlische Jerusalem, in eine eweige Stadt. Wir hingehen sind im Paradiesgarten, indem Gott und die Menschen seit alters wandeln. Für Fred wäre ein Friedhof gut, der beides zugleich ist: Paradies und himmlisches Jerusalem.
(Wir gehen zum Grab, bleiben aber vor der Urne auf der Wiese)
Roland Schäfer liest jetzt den 90. Psalm
Die sechste rechts von Fontanes Grab, da wird Fred zur Ruhe kommen.In einem Zeitungsbericht vor zwei Jahren konnte man lesen: „Da wo früher berühmte Berliner wie Theodor Fontane und Emil Rathenau wohnten, macht Fred Riedel heute Führungen.“
Nun begleiten wir ihn zu eben jenem hin , zu dem er uns vorher geführt hatte. Oder besser: Als einen letzten Dienst führt er uns noch einmal hin. Er musste uns doch noch sagen, wo Fontane begraben liegt. Wer von uns wusste schon, dass er hier liegt?
Dennoch ist auch richtig. Er ging ohne Abschied.
Na, vielleicht stimmt auch das nicht ganz. Wir hatten ihn schon einmal für abhandengekommen gehalten. Die Nachricht, Fred sei gestorben machte die Runde – bis diese Nachricht ihn selber lebend antraf und korrigiert werden musste
Die Nachricht seines Todes und ihre prompte Widerlegung – das passte zu ihm.
Dass er nun wirklich gestorben ist – das passt so gar nicht .
Es passte allerdings zu ihm, so zu gehen, wie er gekommen war. Er war da, wo wir waren. Wir waren eingeladen, er war da. Er erschien, wie von einem anderen Stern. Um den wir uns dann scharten. Wir spiegelten uns in ihm- wir gehörten zusammen, sofort war viel Vertrautes mit ihm - aber auf seine Weise war er anders.
Ich will niemandem zunahe treten, für viele war Fred nah wie ein Familienmitglied. Er war ein Kinderfreund, er kleidete sich in Freundschaft.
Das war seine uns zugewandte, vertraute Seite.
Und dann gab es noch die andere, unübersehbare Seite.
Ich sag es auf Italienisch, weil es keinen Anlass im Deutschen gibt, dies anzusprechen.
Fred faceva sempre bella figura
Impeccabile nel suo modo di vestirsi.
Ich hatte viele Jahre Gelegenheit, in Italien die Wirkung der bella figura zu erleben.
Erstens: Man hat nie ein unangenehmes Empfinden bei großer, auch nicht bei zu großer Nähe. Wegen der Schönheit und der in ihr sich ausdrückenden Haltung.
Zweitens: Gerade wegen der Schönheit und der Haltung blieb immer ein Moment der Fremdheit lebendig, Bereitschaft zum Abschied.
Man musste sich schon auf lange Irrfahrten begeben um jemanden zu treffen, der so untadellig gekleidet war, diese Haltung hatte wie Fred.
Er war ein fremder Vertrauter in der Stadt.
Seine elegante Erscheinung gab ihm etwas Unberührbares, auch bei größter Nähe etwas Unnahbares.
Das schützte ihn vor solchen Zudringlichkeiten, denen sich der große Philosoph aus Königsberg ausgesetzt sah: Kant hatte ein Loch im Ärmel. Ein Vorwitziger bemerkte: da schaut die Klugheit raus. Kant erwiderte: Und die Dummheit rein. Kant musste sich mit einem Bonmot die Zudringlichkeit vom Leibe halten,
Das wäre Fred nie passiert. Er hatte einfach kein Loch im Ärmel, wenn er das Haus verließ. Fred hielt sich durch untrügliche Eleganz die anderen in Schach.
So gewann er Freiheit.
Hatte er den Sinn für distanzierende Eleganz aus Leipzig, wo sein Vater eine Fabrik besaß? Müssen wir nach den Quellen fragen, um ihn zu verstehen, oder sollen wir auf Brunnen achten, aus denen er auf seinen labyrinthischen Lebenswegen getrunken hat?
Bestimmt hat er selber dazu beigetragen, dass jeder von uns so viel, und so Verschiedenes, aber nie alles von ihm zu wissen bekam.
Herauszufinden wie er wurde, was er war, Versuche dazu hören wir anschließend um 15 Uhr in der Kirche St. Matthäus.
Hier folgt jetzt nur die unkritische Wiedergabe dessen, was ich gehört habe:
Studiert hat er Philosophie, Germanistik, Musik, Informatik, Semiotik, Volkswirtschaftslehre. Das Examen soll er wegen Ungebührflichkeit nicht bestanden haben, die mögliche Wiederholung habe wegen zu großer Ablenkung des Lebens verpasst und damit auch das Examen. Es erinnert an Achternbuschs Amerikaschwimmer, der kurz vor Erreichen der amerikanischen Küste umkehrte und nach Europa zurückschwamm.
Als Volkswirt konnte man ihn sich sowieso nicht vorstellen, eher als Mann am Klavier. Ursprünglich wollte er Kontrabassist werden, doch lagen die Griffe außerhalb seiner Reichweite, deshalb stieg er zum Cello herab, das immer noch eine Herausforderung war. Aber im Grunde seines Herzens wollte er nur das Eine: die Toccata und Fuge d-moll, die sogenannte Endemische, von Johann Sebastian Bach spielen können. Ob es ihm gelungen ist – einige von Ihnen werden es wissen.
Wagners Musik war auch eine seiner großen Leidenschaft. Die Musik und die Bayreuther Festspiele. Viele Jahre fuhr er hin. Warum? Einige meinen, weil er selber aussah wie Richard Wagner, obwohl er aussah wie Charles Aznavour. Andere folgten dem Gerücht, er sei ein illegaler Urenkel Richard Wagners.
Vielleicht war es auch einfach nur die Musik, die ihn dorthin zog. Das Wandernde des Parsifal.
Musik war in ihm. Eine Zeitlang hörte er ständig Frank Sinatra, the Voice, auch so ein Selfmademan wie er selber.
Über Musik schrieb ein anderer großer Wanderer des vergangenen Jahrhunderts: „Musik, die große Lust des Geistes, ist eine angestammte Unschuld ohne Jammer. In der Musik ist kein Arg. Jede Harmonie ist ein Sternbild. Musik ist ein Sinnspiel der Elemente. Zwölf Töne nur, zwölf Bildern des Himmels gleich: und doch – sie kann nicht versiegen, sie ist ein Erzgang, den niemand abbauen und erschöpfen kann.“
Jürgen von der Wense.
Jürgen von der Wense war ein Wanderer, wie kaum einer vor ihm und nach ihm. Pianist, kannte Gott und die Welt und lehrt uns noch eine segensreiche Seite des Wanderns. In der NS-Zeit suchten die Nazis immer wieder nach ihm, fanden ihn jedoch nicht, weil er immer unterwegs war.
Nun, irgendein Zuhause braucht auch der heftigste Wanderer. Bei Jürgen von der Wense klang das so: Die Erde ist ein Stern – wir leben im Himmel. Musik ist die Liturgie des Lebens. Sie ist die Seligsprechung der Zeit. Die Musik ist dem Geiste verliehen als Waffe. Sie ist das Richtschwert, das vorangeht. Im Feuer. Des Menschen Bahn.
Und was war das Zuhause Freds?
Nicht erwähnt habe ich bisher seine Ausflüge in die Publizistik. Sein Abstecher nach Frankfurt, Club Voltaire, Verlagsgründung, Augstein, der eigens nach berlin kam, weil er ihn als Spiegelredakteur wollte. Darüber konnte Fred so hinreißend aqmüsant erzählen, dass diejenigen, die dabei waren, glatt alle Einzelheiten vergaßen.
Es gäbe noch une ndlich viel zu erzählen. Auch noch ganz anderes, als ich zur Sprache gebracht habe.
Ich schließe mit zwei persönlichen, durchaus einseitigen Antworten auf die Frage: Was war sein Zuhause?. Mit ihnen teile ich meine Erfahrungen mit Fred.
Eine Freundin machte sich und uns und Fred ein Geschenk zu ihrem Geburtstag und bat ihn um eine Führung durchs Tiergartenviertel. Da ihr Geburtstag in den November fiel war es ziemlich kalt, es war fürchterlich kalt. Dazu kam ein schrecklich steifer Ostwind. Das neue Tiergartenviertel ist ja so angelegt, dass besonders der Ostwind viel Raum bekommt, seine Macht zu entfalten. Nach einer halben Stunde waren wir durchgefroren – bis auf Fred. Natürlich war er auch durchgefroren, aber er war, als wäre er es nicht.
Haben als hätte man nicht, nennt der Apostel Paulus diesen Zustand der Befreihung.
So nahm Fred ein zum Schutz gegen Regen und Sturm plastifiziertes Blatt nach dem anderen aus seiner Tasche und zeigte uns unverdrossen Einzelheiten jener verschundenen Stadt, die unsere tränenden Augen gar nicht mehr erkennen konnten.
Im Rückblick würde ich jetzt sagen: Sein Zuhause war die Haltung, als Sieg über die Körperlichkeit. Ein freier Mann.
Das andere geht zurück auf unser erstes Zusammentreffen, als Fred und ich uns um dieselbe Frau bewarben. Das war 1973 oder 1974. Vor zwei Jahren kam Fred darauf zu sprechen und wollte wissen, ob ich Nachrichten von ihr hätte oder sogar eine Telefonnummer. Hatte ich nicht, habe sie dann aber hnerausgefunden und ihm gegeben. Es hatte mich sehr gerührt, dass das so entferntliegende Ereignis ein so zuverlässiges Zuhause in ihm gefunden hatte. Über fast fünfzig Jahre hinweg. Bestimmt hatte sie inwischen geheiratet und Großmutter. Wir haben darüber nicht mehr gesprochen. Als Fred nun gestorben war, habe ich bei ihr angerufen. Ihr Mann sagte mir am Telefon: Ja, Fred hat sich gemeldet. Wir hatten uns verabredet und wollten ihn in Berlin besuchen. Als wir in der Carmerstraße ankamen, war er vor drei Tagen gestorben.
Mir scheint, dass Fred nicht nur ein großerer Wandernder war, sondern auch ein beständiger Freund, bei dem Freundschaften gut aufgehoben waren.
Einen so großen Mann zu überleben und für mich etwas Seltsames, Eigenartiges, geradezu Ungehöriges. Aber wäre die Welt gerecht, wäre sie nicht schön.
Amen.
Wir wollen nun Freds sterbliche Überreste zur letzten Ruhe betten. Ich tue dies im christlichen Ritus. Denn dies ist die einzige Sprache, die mir zur Verfügung steht. Wer von Ihnen das Vaterunser mitbeten kann ist dazu eingeladen. Jeder, der mag, kann zum Abschluss an das Grab treten um Abschied von Fred zu nehmen.
Zum Abschluss, vor dem Segen, singe ich noch den Schlusschoral aus der Johannespassion von Johann Sebastian Bach: Ach Herr, lass dein lieb Engelein. Denn dass wir Fred ganz ohne Musik begraben - das kann nicht sein.