hORA - Gottesdienst St. Matthäus
22.Oktober 2023 18 Uhr
Predigt über Mt 19, 6 „ was Gott zusammen gefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn und Heiland Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde,
was Gott zusammen gefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden. Matthäus 19, Vers 6
darum ging es einmal bei der Ehe.
Darum geht es immer noch.
Was Gott zusammengefügt hat, nicht zu scheiden.
Als Protestanten haben wir dazu nicht viel zu sagen. Als Kirche scheiden wir ja keine Paare. Ich erinnere mich, von Svende Merian, der Autorin des Märchenprinzen, einmal um einen Beitrag zu einem Band Scheidungspredigten gebeten worden zu sein. Ich hatte zugesagt, aber dann doch nichts geschrieben. Wir sind zwar beim Zusammenfügen dabei, aber bei den Scheidungen sind wir flüchtig.
Protestantisch ist es aber so, dass wir auch bei der Trauung nur eingeschränkt dabei sind. Wenn das Paar zu uns kommt, sind sie schon verbunden. Standesamt. Denn die Trauung sehen wir als eine private Angelegenheit der beiden an, die zusammen leben wollen. Möchten sie dies mit dem Segen Gottes tun, heißen wir sie herzlich willkommen. Geht es später daneben, ist die Scheidung auch ihr privates Unglück. Das sie dann bekanntlich unbegrenzt wiederholen dürfen. Zweimal, dreimal, viermal, fünfmal – solange der Optimismus und das Geld reicht. Oder das Glück sich schließlich einstellt.
Als Protestanten sind wir damit voll im Trend. Vermutlich sind wir sogar Trendsetter.
Während die katholische Kirche mit ihrer Unauflöslichkeit der Ehe einmal wieder den Anschluss verpasst hat.
Jesus wohl auch.
Ein Drittel der Ehen wurden im Jahr 2022 geschieden. Man weiß zwar nicht, was das für eine Art von Statistik ist. Aber man glaubt es sofort. Und unter den beiden, die heute einander heiraten, ist vermutlich auch einer der beiden bereits geschieden.
Loslassen können.
Von neuem durchstarten.
Beim nächsten Mal mit weniger Ballast
Nicht jeder Bräutigam, nicht jede Braut möchte bei der Trauung hören, den anderen aus der Hand Gottes genommen zu haben. Willst Du Karl diese Karla als eine Frau annehmen reicht.
Und bitte nicht auch noch die Formel„bis dass der Tod Euch scheidet.“ Wer will am glücklichsten Tag seines Lebens an den Tod denken müssen.
Machen wir nicht!
Wollen wir nicht!
Wird gestrichen!
Die Ehe ist eine private Angelgenheit der beiden. Das muss man als Kirche ebenfalls berücksichtigen.
In guten wie in bösen Tagen einander die Treue halten – Stirnerunzeln. Was sollen diese Prophezeiungen..
Bei Trauungen und Trauerfeiern heißt es oft: Bitte Herr Pastor, reden sie nicht zu ernst.
Machen sie es lustig.
Da habe ich denn schon mal gesagt, auf Kierkegaard verweisend, die Wirklichkeit sei die Vernichtung der Möglichkeit. Heiraten sei wie Einkaufen. Man gehe mit seinem Geld (seinen Möglichkeiten, seiner Potenz) durchs Kaufhaus und sage zu sich: Dies könnte ich kaufen, und auch das gefällt und wäre möglich. Wenn man sich dann aber schließlich entschieden habe, sei das Geld futsch und man müsse nun sehen, wie man mit dem erstandenen Gegenstand glücklich werde. So sei es auch mit der Ehe.
Das ist zwar lustig, kommt aber ohne die Hand Gottes aus, aus der die Eheleute einander annehmen.
Und wie soll diese Predigt zur Ehe sein?
Lieber lustig und den Vater im Himmel hinter Wolken verstecken?
Oder von beidem etwas und deren Gegenteil– zur Ehre Gottes. Denn Gott hat, wie wir wissen, Humor. Sonst wäre er nicht Mensch geworden und nur hinter den Wolken.
Ich will Sie also noch einmal und etwas genauer zu begrüßen:
Liebe Verheiratete, die Sie sofort wussten, dass Sie Ihren Partner aus der Hand Gottes bekommen und genommen haben. Herzlich willkommen Sie, die Sie erst im Lauf der Ehe darauf gekommen sind. Was für eine schöne Offenbarung. Liebe mit Freude oder unter Schmerzen Geschiedene. Liebe mit neuem Schwung Wiederverheiratete. Liebe Singles. liebe Optimisten und liebe Pessimisten.
Was mich selbst betrifft: Meine Frau und ich sind seit 45 Jahren verheiratet. Am 3. November werden es 46Jahre sein.
Wieso wir es soweit gebracht haben?
Keine Ahnung
Ich kann Ihnen und auch mir die Frage letzten Endes nicht beantworten.
Das scheint mir sogar die beste Antwort zu sein. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten: Je weniger man diese Frage beantworten kann, desto besser steht es mit der Ehe.
Die Ehe ist ja doch ein Kunstwerk, ein komplizierte Bau, hochaufragend, wie eine gotische Kathedrale. Wer in ihr ständig hinaufblickt und fragt, wielange wird es noch gut gehen, kommt zu keiner Andacht und zu keiner Zwiesprache mit Gott. Kommt nicht dazu, auf Gott zu hören.
Nur noch Stoßgebete.
Habt Vertrauen ist dann der geläufigste Ruf.
Eine der großen politischen Kategorien, gesellschaftlich, zwischenmenschlich, ökonomisch.
Korrespondiert allerdings schlewcht mit der anderen großen Kategorie: Verantwortung.
Dcarum würde ich dem Paar in seiner gotischen Kathedrale empfehlen: Hört auf, Euch für alles verantwortlich zu fühlen.
Das steht liegt nicht in eurer Verantwortung. Das geht euch letztlich nichts an.
Und damit auch die letzte Analogie nicht unausgesprochen bleibt. Wenn Sie einen Tausendfüßler fragen würden – sie wissen schon, worum es geht. Wie kommst du eigentlich mit deinen tausend Füßen klar? Dann würde er aufgeschreckt zum erstenmal seine tausend Füße beobachten. Schluß wäre mit seiner Eleganz.
Nun, der Tausenfüßler ist unempfindsam für unsere Fragen.
Er hört uns nicht.
Er versteht uns nicht.
Das ist sein Glück. Das macht ihn alltagstauglich. Bewundernswert, wie er in Form eines Minibatallions ungerührt seines Weges geht.
Er ist ganz unbekümmert ums Gelingen.
Rilkes Sehnsucht war gerade diese: zu sein wie das gesicherte Bergtier. Einer Gemse machen die Klippen seines Alltags keine Mühe. Unbekümmert.
Hören Sie das schwache Echo aus diesem Wort 'unbekümmert'. Aus welcher großen Ferne es inzwischen nur noch verstümmelt als Kummer zu uns kommt?
Vielleicht gleichen aus diesem Grunde viele der Wohnungen mit unseren mannigfachen Haustieren kleinen Arche Noahs. Weil wir an ihnen erleben möchten, wie man ohne Kummer leben kann.
Unbekümmert.
Aber: Unauslöschlich die Antwort einer Nachbarin auf meine Bemerkung über ihren Hund. „Ja, und ich hoffre sehr, dass dieser jetzt Bus fährt. Wenn der auch nicht Bus fährt, nehme ich mir das Leben.“
Kummer gehört zum Leben. Und jede Kreatur, die mit uns wohnt, wird hineingezogen in unseren Strudel.
Wir nämlich sind Kummer gewohnt, wie es heißt.
Wir fragen nach den Gründen für unser Handeln. Und nach denen für unser Nichthandeln. Aus welcher Laune entscheidest du dich jetzt für diesen Partner und gegen den anderen.
Elite Partner vereinfacht die Sache auch nicht. Man muss dann immer noch wissen, warum so und nicht so.
Das alles zehrt an der Fähigkeit, gut im Alltag zu sein. Alltag besteht doch in der Bereitschaft zur täglichen Wiederholung. Alltag ist wie Ehe. Aber wenn man jeden Morgen wieder neu nach dem Grund fragt, warum man jetzt aufstehen soll, warum man gerade so geheiratet hat, wie man verheiratet ist, dann ist man auf dem besten Wege, alltagsuntauglich zu werden.
Alles selber entscheiden müssen ist super anstrengend. Seitdem wir die Verantwortung zu all den anderen Dingen - Gerechtigkeit, Krieg und Frieden, Bewahrung der Schöpfung, die fürs Klima auch noch aufgehalst bekommen haben, und niemanden mehr finden, dem wir die Verantwortung weiterreichen können, wird es brenzlich, ungemütlich, kummervoll, kümmerlich. Ruinös. Wir sehen es an friday for future, an der letzten generation, an der Hamas, sie alle haben keinen Sinn für den Alltag. Sie leben nur noch für den Ausnahmezustand und möchten alle in den Strudel ziehen. Dass Panik uns erfasse.
Wir erleben gerade wieder einen unvorstellbaren Hass gegen Juden in der ganzen Welt. Gestern wurde eine Rabbinerin Detroit erstochen, Botschaften , Synagogen im Libanon, Jordanien, Berlin - man verliert völlig die Übersicht, werden angezündet. Wie hilflos wirkt da schon unsere „Nie wieder ist jetzt“. Ausgebrochen ist der Haß in dem Augenblick, in dem Israel von der Hamas gedemütigt wurde. Im Moment des größten Mitgefühls. 15 Millionen Juden leben zur Zeit unter uns, 1 Millionen weniger als vor der Shoa, das sind nicht einmal 0,2 Prozent der Weltbevölkerung. Angesichts dieser Entladungen der Hölle erscheint mir die Kategorie Verantwortung als absolut hilflos. Wir tun dagegen, was wir können, und noch mehr, aber das hier geht weit über unser Vermögen.
Wir dürfen, wir sollen aber Gott daran erinnern, dass er das Volk Israel als seine erste Liebe erwählt hat. Und dass das, was Gott zusammengefügt, von keinem Menschen, von niemandem wieder geschieden werden kann. Er hat Israel die Treue geschworen, bitten wir ihn dringend, dies gerade jetzt nicht zu vergessen.
Eine Organisation mit Sitz in New York mit Namen Avaaz, die als eigenes Ziel ausgibt „gemeinsam die Lücke zwischen der Welt, die wir haben, und der Welt, die sich die meisten Menschen überall wünschen, zu schließen“ diese Organisation verschickt zur Zeit Spendenaufrufe, die so beginnen: Der Gaza-Streifen ist ein großer Kindergarten mit einer Mauer drum. Der wird gerade in Grund und Boden gebombt.
Die Organisation Avaaz hat 1,5 Millionen Anhänger in Deutschland, die ihr folgen, 65 Millionen weltweit – nach eigenen Angaben.
Das wird gehört und wohl auch befolgt.
Wir werden aufgerufen, unsere Verantwortung wahrzunehmen, und für die Kinder dieses bedrohten Kindergartens zu spenden. Weil sie schutzlos den Bomben Israels ausgeliefert seien.
Israel zerstört einen großen Kindergarten mit seinen Raketen und wir haben jetzt die Verantwortung für das Überleben der Kinder.
Trotz dieser verruchten Bezeichnung des Gaza-Streifens als Kindergarten, spüren wir die Macht der Verantwortung. Man kann doch die Kinder nicht allein lassen. In diesem Bombenhagel. Das ist unverantwortlich.
Bei unserer Verantwortlichkeit kann man uns immer packen. Das ist unsere starke und unsere wunde Stelle. Lüge und Täuschungen sind wir hilflos ausgesetzt, wenn jemand an unsere Verantwortung appelliert.
Natürlich stimmt, was sie sagen, undist doch horrend verlogen.
Wir wissen von der Hamas selber, dass dieser Kindergarten von einem 500 km langen Tunnelsystem unterzogen sei, elektrifiziert, mit Frischluft versehen, zum Teil so breit, dass Autos hindurchfahren könnten. Das wäre der Schutz für alle Kinder des Kindergartens. Haben aber Zutrittsverbot. Diese überall vorhandenen Bunker sind militärisches Speergebiet. Gaza Metro nenen die Israelis diese Anlagen. Aber die Metro dient nicht der Bevölkerung.
Weil das so ist, soll es nun in unsere Verantwortung fallen, uns um die Kinder zu kümmern. Besonders auch, weil sie Opfer israelischer Bomben sind. Damit die Hamas ihre Bunker weiter benutzen kann, statt Leben zu retten Tod zu bringen,
Wir müssen aufhören, uns Verantwortungen einreden zu lassen, die wir nicht tragen können. Da haben wir nichts verloren und auch nichts zu gewinnen.
Wenn wir uns da nicht selber Einhalt gebieten, arbeiten wir nur an unserem kommenden Elend.
Das Komische in dieser Lage scheint mir, dass es gerade jetzt die Aufgabe unserer Kirche ist, das Ende der universalen Verantwortlichkeit zu predigen. Komisch, oder humorig, weil gerade unsere Protestantische Kirche die Verantwortung des Menschen an die allererste Stelle stellt. Da, wo früher Gott war, stehen jetzt wir mit unserer Verantwortung.
Wie anders und wie fern von unser Zeit, und wir werden noch merken, wie trostreich alles ist, was fern von unserer Zeit ist, klingt da das Kriegslied von Matthias Claudius
's ist, 's ist Krieg
und Gottes Engel wehre
und rede du darein.
's ist leider Krieg und ich begehre
nicht Schuld daran zu sein.
Matthias Claudius wusste vor 250 Jahren schon, dass überall Verantwortung zu übernehmen, nicht nur eine Torheit ist, sondern auch die Zuwendung zum Vater im Himmel unterbindet. Statt sich schuldig zu fühlen begehrt er, nicht Schuld zu sein.
Begehrt, dass Gott ihn freistellen möge, entlasten möge.
Den Freispruch aus Gottes Hand nehmen zu dürfen.
Überhaupt ersteinmal zu denken, seinen angetrauten Mann oder seine angetraute Frau aus Gottes Hand zu nehmen.
Aus der Hand unseres Vaters im Himmel.
Hören Sie noch einmal von Matthias Claudius, wie er vom Vater angesichts des Vaterunser-Gebets spricht
Sieh, wenn ich beten will, so denke ich erst an meinen seligen Vater, wie der so gut war und mir so gerne geben mochte. Und dann stelle ich mir die ganze Welt als meines Vaters Haus vor; und alle Menschen in Europa, Asien, Afrika und Amerika si nd dann in meinen Gedanken meine Brüder und Schwestern; und Gott sitzt im Himmel auf einem goldenen Stuhl und hat seine rechte Hand über das Meer und bis an das Ende der Welt ausgestreckt, und seine Linke ist voll Heil und Gutem, und die Bergspitzen umher rauchen – und dann fang ich an:
Vater Unser, der du bist im Himmel.
Amen.