Palmsonntag 25. März 2018
St. Matthäus 18 Uhr
hORA Gottesdienst
Predigttext Jesaja 50, 4-9
Der leidende Gottesknecht - das 3. Lied
Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie ein Kleid zerfallen, Motten werden sie fressen.
Da ist sie wieder, die schrecklichste alles Fragen: Wange hinhalten oder nicht? Und wenn die eine, dann auch noch die andere? Ist das Ernst oder doch nur Spaß? Alles nur gemeint im übertragenen Sinne? Wie auch das Gesicht mit der Härte eines Kieselsteins? Eine Metapher gewiss - aber ist es auch eine Tugend?
Wir kommen dazu zurück, allerdings auf einem Umweg, den kürzesten Umweg, den ich finden konnte.
Liebe Gemeinde,
Ich begrüße Sie ganz herzlich zum Palmsonntag.
muss aber Feststellen: Sonntag ist da,
Palmen nicht.
Schade!
Ist das nur schade, oder doch ein erheblicher Mangel. Einer, unter dem die Botschaft selber leidet?
Kommt Jesus deshalb nicht in Berlin an, weil wir hier keine Palmen haben?
Das sei ferne, das wäre ja religiöser Fetischismus,
und ökologischer Unsinn dazu, tonnenweise Palmblätter zu den Menschen in Berlin zu schaffen. Das ließe sich politisch gar nicht durchsetzen.
Umgekehrt ist es schon leichter, wenn auch nicht viel günstiger
Berliner zu den Palmen schaffen.
Denn ganz ohne Wirklichkeit geht es nicht im Leben.
Und in der Religion? Geht es da ohne Realismus, ohne Rücken hinhalten, ohne Körper?
Ich will zunächst mit einer kurzen theologischen Grille zu Palmsonntag zu beginnen. Grille im Sinne einer theologischen Groteske. Über die Anwesenheit der Palmen an Palmsonntag
14 Jahre lang war ich Pfarrer in Süditalien. Im Verlauf der Erinnerung an Italien werde ich häufiger von wir sprechen, das sind dann meine Frau und ich. Im Nachhinein kann ich einfach nicht mehr feststellen, wer was gedacht und was empfunden hat.
In Süditalien gab es überall Palmen. Mit Migrationshintergrund, aber gut integriert.
Das ganze Jahr über. Die standen überall rum, oft als lichte Wälder, säumten Straßen, bevölkerten öffentliche Parks, ,am traf sie einzeln in Innenhöfen, hochgetrieben bis zum siebten Stockwerk.
Im Pfarr- und Gemeindegarten der Gemeinde in Neapel standen davon drei mächtige Palmen mit vielen Gesichtern: Im sogenannten Winter nahmen sie uns das Licht, im Sommer spendeten sie unverzichtbare Schatten. Sie waren den Spatzen Brutkästen und gaben den Mäusen Schutz vor beutegierigen Katzen.
Am Palmsonntag war ihr höchster Festtag: da wurden sie gefeiert wie der Herr Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem selber.
An Palmsonntag rückten die Palmwälder vor bis in die Kirchen.
Da trafen wir sie zum ersten mal in Sizilien.
Catania zum Beispiel verwandelte sich an diesem Domenica delle Palme in eine zauberhafte Oase.
Schon Tage zuvor saßen Frauen und Männer auf den Stufen der Kirchen und flochten die langen Blätter der jungen Palmzweige zu kunstvollen hellgrünen Zöpfen. Dazu benötigten sie die frischen Blätter aus dem oberen Teil der Palmbüsche, die noch biegsam genug waren.
Sie alle bildeten am Sonntag dann die breite Gasse, durch die Jesus oder die Schar der an der Messe beteiligten Priester einzogen.
So verlief unsere erste Begegnung mit dem überschwänglichen Reichtum an Palmsonntag.
Überwältigend
Zwei Jahre Später, in Neapel, erlebten wir, wir - das sind meine Frau und ich in diesem Fall, regelmäßig im Frühjahr, wie Arbeiter die Stämme der drei Palmen erklommen, um die überaus üppige Kronen der Palmen zu beschneiden. Das geschah äußerst gründlich. Nach getaner Arbeit standen nur noch drei schlanke Stämme da, an ihren Spitzen drei wohlgeformte nackte Kugeln, die ihrerseits noch drei dünne steife Palmzweige senkrecht in den Himmel reckten.
Das war alles, was uns von der vorigen Pracht geblieben war.
was diese Baumfrevler uns übrig gelassen hatten. Blanker Zynismus
Meine Frau und ich haben uns zu zunächst schrecklich aufgeregt über diese unglaubliche Verstümmlung.
Wir forderten Solidarität mit den Palmen.
Die Gemeinde hatte einen Gärtner, doch von ihm konnten wir keine Unterstützung erwarten. Er hatte uns bei anderer Gelegenheit schon einmal erklärt, dass seine Aufgabe als Gärtner darin bestehe, die Natur zu bekämpfen. Das hier sei ganz in seinem Sinne.
Eingeweihte gaben dann aber die richtige Deutung: Die Palmwedel werden doch für die Palmsonntagsprozessionen gebraucht.
Die werden in der Kirche gebraucht.
Darum der Eifer auf den Palmen, darum der Kahlschlag, darum immer in den Wochen vor Ostern.
Die nächsten Wochen schaute wir verdrossen auf die nackten Stämme der Palme vor unserem Fenster und verwünschten den Katholizismus mit seinem unausrottbaren Hang zum Realismus in der Religion.
Als Bewunderer der drei ausgewachsenen Palmen im Gemeindegarten sahen wir das verschwenderische Wedeln mit Palmzweigen am heutigen Sonntag jetzt mit ganz anderen Augen als noch in Catania . Voller Unverständnis und mit wachsender protestantischer Kritik am katholischen Treiben.
In mir formte sich ungekannte protestantische Identität heran. Mein Blick ging bald über die Palmwedel hinaus.
Denn es sind ja nicht nur sie, die einen Protestanten zum Grübeln bringen können. Dazu kommt noch diese unübersehbare Menge der Reliquien aller Art und Unart in allen Altären. Katholisch eben.
Die widersinnige Fülle an Holzsplittern vom Kreuz, in Fleisch verwandelte Hostien, die nun aussahen wie Geldstücke, Haarstränen der Heiligen, Knöchelchen und ganze Skelette.
In der Kirche San Nicola in Bari, der Stammkirche des heiligen Nikolaus, erzählte ein Priester die Geschichte der , aus Konstantinopel entwendeten Reliquien. Nach dem ersten Raubzug musste man feststellen, dass einige Knochen des Heiligen fehlten. Nach dem zweiten Raubzug hatte man zuviel davon.
Ich begann Luther zu lesen. Was sagt unser Heiliger dazu?
In katholischen Ländern entdeckt man ja schnell sein Luthertum wieder .Und las bei Luther: Es ist alles totes Ding, das niemand heiligen kann, durch das niemand selig wird.. Weg damit.
Die theologische Grille, muss ich jetzt einfügen, ist damit schon längst zu Ende. Es wird nun ganz Ernst.
Es geht dem Realismus in der Religion ans Leben.
Das Hörbare bleibt.
Das Sichtbare verschwindet
Was vorher Ding war ist nun vergeistigt.
Ist Ihnen die 4 Strophe der Güldenen Sonne von Paul Gerhardt gerade gegenwärtig? Da besingen wir den vollzogenen Wandel:
Lasset uns singen, dem Schöpfer bringen,
Güter und Gaben, was wir nur haben,
alles sei Gotte zum Opfer gesetzt,
Die besten Güter sind unsere Gemüter,
dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder,
an welchen er sich am meisten ergötzt.
Die Vergeistigung in der Religion, wie weit muss sie gehen,
der Verflüchtigung der Wirklichkeit, wie weit darf sie gehen.
Weihrauch, Myrrhe, Widder, Esel, Palmen - alles haben wir in Musik und in Worte verwandelt.
Nun, an ein paar Dingen haben wir festgehalten, weil sie so schöne Dinge sind. An der Palme nicht - aber am Tannenbaum. Der Einwand, dass der Tannenbaum gleich in Massen um die Ecke wohnt, kann nicht gelten, schließlich wachsen weder Ananas noch Avocados neben an und sind trotzdem da. Ich glaube, wir haben nur deshalb den Weihnachtsbaum, weil er nicht biblisch und deshalb auch nicht katholisch ist. Wäre er biblisch, gäbe es ihn nur noch als Weihnachtslied. Siehe 4. Strophe von Paul Gerhardts güldener Sonne.
Ausgesprochen biblisch hingegen ist der Esel am Palmsonntag
Darum ist er auch nicht da.
Die jubelnde Menge, die Hosianna ruft, das sind wir. Gut.
Die Kleider. die sie zu Ehren vor Jesus auf die Straße legen - sind biblisch und deshalb nicht da.
Wir haben es ja gerade gesungen: im Lied ist alles da.
Wenn es ohne dies alles geht, auf was könnte man noch verzichten.
Was ist mit Jesus?
Muss er dabei sein?
Vielleicht geht es an Palmsonntag gar nicht um das Kommen Jesus.
Vielleicht ist die Willkommenskultur der Jerusalemer Bevölkerung viel wichtiger.
Ganz unabhängig von dem, der da gerade kommt.
Alle, die da kommen, begrüßen wir mit Hosianna als Ausdruck unserer gesteigerten Freude. Nicht der, der kommt, ist wichtig, sondern das, was er in uns auslöst, unser Jubel, unsere Hochstimmung, angesichts der Tatsache, dass WIR besucht werden.
So sind wir mittendrin, ganz bei uns selbst.
Unser Hosiannarufen enthält im Grunde schon den ganzen Jesus.
Darum rufen wir auch Hosianna und nicht zum Beispiel Hurra oder sagen Hallo.
Das ist immerhin ein starker biblischer Bezug.
Besonders, wenn man bedenkt. dass das biblische Hosianna eigentlich Hoschia na ist, was "hilf uns doch!" bedeutet. Da rief die Menge statt herzlich willkommen "hilf uns doch" . Wir brauchen Hilfe und du, du kannst sie uns geben.
Wenn wir jemanden kommen sehen, der uns helfen kann, dann ist unser Hilferuf ganz bestimmt auch ein Jubelruf. Da kommt der Retter und der Erlöser. Der uns etwas geben kann, was uns fehlt.
Und wir dachten schon die rufen nur freudig und wedeln mit ihren Palmzweigen.
Die rufen "hilf uns doch!"
Wenn wir Hosianna rufen, um welche Hilfe bitten wir? Was brauchen wir? was fehlt uns, das er uns geben kann?
Ich meine: Bei unserem Glauben fehlt es an Wirklichkeit. In der Auseinandersetzung mit der katholischen Schwester haben wir sie aufgegeben.
Hier tritt sie uns wieder vor die Augen. Schauen wir hin.
Der Gottesknecht bei Jesaja: Jeden Morgen hört er Gottes Wort. Gott hat ihm auch die Fähigkeit gegeben, was er hört , weiterzusagen. Einige stärkt er damit, andere bringt er gegen sich auf. Sie drohen ihm zu schweigen, sie schlagen ihn, treiben ihn in die Enge und fallen über ihn her.
Und er, er sagt nicht: Halt, halt, so war das nicht gemeint. Es sind Friedensworte, die ich bringe. Wenn ihr das so versteht, dann muss ich mir das noch einmal überlegen. Und die Worte Gottes sind plötzlich ohne Träger, ohne Körper, ohne Verkörperung lösen sich in Schemen auf, kehren von einem unnützen Ausflug zu Gott zurück.
Er sagt im Gegenteil: Gott, ich weiß, dass Du mir beistehst. Darum weiche ich nicht. Du wirst mir die Treue halten, denn Dein Wort ist in mir. Darum ertrage ich die Schläge, werde mich dafür aber nicht noch bedanken. Sondern ich mache mich unempfindlich gegen sie, mit einem kieselharten Gesicht.
Wenn wir die beiden Sätze hören, wissen wir sofort, worum es geht:
ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen
und
ich hielt meine Wangen hin denen, die mich rauften.
Wie viele uns bekannte Töne werden darin angeschlagen:
das Martyrium Jesu ,
sein Schweigen vor Pilatus,
die Späße der Kriegsknechte
das Holz auf Jesu Schultern,
Golgatha
und dann die Bergpredigt mit ihrer Aufforderung, auch die andere Backe hinzuhalten.
das Geschick Hiobs entsteht vor unserem geistigen Auge
und das Schicksal des jüdischen Volkes.
Aber es meldet sich auch der andere Ton, den wir nur allzu gut kennen. So ist das ja nun nicht gemeint, dass man sich nach der ersten Backpfeife auch gleich noch die zweite einfangen soll, geradezu drum bitten soll. Das wäre doch zu feige, zu peinlich. Besser ist es, sich zu wehren, oder wenn das nicht geht, weglaufen, die Polizei rufen.
Auch die andere Wange hinhalten muss man sich halt metaphorisch denken. Kein Vernünftiger käme auf die Idee, nach den ersten Prügeln auch noch die nächsten abzuwarten.
Auch wenn jetzt nicht jeder an ihn denkt, so ist Friedrich Nietzsche doch ganz gegenwärtig mit seinem Hohn über die Demut, die Nächstenliebe, über Christus, den Narren am Kreuz.
Als Christen möchten wir keine lächerliche Figur abgeben, sondern so taff sein wie die andern.
Indem wir sagen, das Weltliche ist eben das Weltliche und hat seine eigene Welt, und das Religiöse ist das Religiöse und das hat seine eigene Innerlichkeit. Das soll man nicht vermischen.
Nietzsche hatte auch dazu schon etwas gesagt: Die Reformation erklärt viele Dinge für adiaphora, für Gebiete, die nicht von dem religiösen Gedanken bestimmt werden sollten; dies war der Kaufpreis, um welchen sie selbst leben durfte: wie schon das Christentum gegen das viel religiösere Altertum gehalten, um einen ähnlichen Preis seine Existenz behauptete.
Nachzulesen in Schopenhauer als Erzieher. Damit will er auf ein noch viel Schrecklicheres hinaus: Wenn nämlich ein Großteil der Wirklichkeit als unerheblich für das Heil unbeachtet bleibt, dann überlässt man die wilden, zerstörerischen Kräfte sich selber.
Als Protestanten sind wir an einem Scheideweg angekommen, an dem wir gefragt werden, ob Gottes Wort durch uns einen Körper bekommt, ob wir es durch uns wirklich werden lassen, oder ob wir alles in sprachliche Metaphern aufheben?
In Gesang und fröhlichen Tanz.
Karl Kraus, der Sprach und Sprechkundige ist darüber verzweifelt: Für ihn war die Sprache das friedliche Haus, in dem der metaphorische Ausdruck vor der darin enthaltenen Wirklichkeit geschützt sei.
Er sagt: Die Wendung "Salz in die Wunde streuen" stellte wohl einmal eine grässliche Handlung dar. Doch jetzt ist sie nur noch als eine irreale, ferne Vorstellung einer früheren Tat enthalten. Sie geschieht nicht mehr.
Als er aber erkennen musste, dass zu seiner Zeit in Deutschland die Nazis ihren verprügelten Gefangenen noch Salz in die Wunden rieben, wusste er, dass die Untat durch Sprache sich nicht mehr bändigen lässt.
Einen Aufbruch der Phrase zur Tat nannte er das und sah darin sein letztes Bollwerk, das der heilenden Sprache gefallen.
Darauf hatte er seinen lebenslangen Kampf durch das Wort gegen die Barbarei als nutzlos eingestellt.
Es sind nun andere Kampfmittel gefordert.
Unser Rücken und unsere beiden Wangen. Das körperliche Leben ist nicht unerheblich für die Existenz des Gläubigen, das Kommen Gottes in unserer Gestalt macht dies überdeutlich.
Dazu gehören auch die Palmblätter, und die Kleider auf dem Weg, der Esel und vor allem der Jesus, der kommt, und den das Volk von Jerusalem mit dem Ruf empfing "hilf uns doch"
Gestern morgen starb der Polizist Arnaud Beltrame an seinen Schussverletzungen, die ihm der Terrorist in dem Supermarkt, in dem er Geiseln hielt, beigebracht hatte. Der Polizist hatte sich zuvor gegen eine Geisel eintauschen lassen.
Cora Stephan, eine Journalistin, schrieb dazu:
"Wir alle sollten einen Augenblick innehalten und über Beltrames persönliches Opfer nachdenken und über den Begriff des Dienens. Wer macht so etwas heute noch in unseren Fit-for-Fun-Gesellschaften? Sich aufopfern, das eigene Leben riskieren für einen anderen Menschen, den man zuvor noch niemals getroffen hat?"
Amen